Anne Müller
04.2022 Monika Wenger im Gespräch mit Autorin Anne Müller über ihren neuen Roman Das Lied des Himmels und der Meere.
"...als Journalistin habe ich Recherche gelernt und das hat sich nun ausgezahlt. Es war eine spannende Reise, was die Spurensuche anging, immer wieder ein Puzzleteil und dann weiter…"
Belletristik-Couch.de:
Liebe Frau Müller, Sie haben mit der Geschichte über die Auswanderung Ihrer Protagonistin, Emma Johanna Callsen, einen Roman über eine jungen Frau geschrieben, die als Gesellschafterin eine Anstellung in Kalifornien antritt. Im Jahr 1872 ist es eine mutige Entscheidung für eine junge Frau; von der weiten, gefährlichen Überfahrt ganz zu schweigen.Als Ich-Erzählerin ist die Protagonistin Emma etwas distanzierter als sie es als Briefe schreibende Schwester ist. War für Sie von Beginn weg klar, dass Sie so den Aufbau des Romans gestalten würden? Warum haben Sie diese Erzählweise gewählt?
Anne Müller:
In meinem letzten Roman „Zwei Wochen im Juni“ gibt es ja den langen Abschiedsbrief der Mutter, da habe ich gemerkt, wieviel Spaß mir das Genre „Briefeschreiben“ macht. Dies konnte ich jetzt im Auswandererroman natürlich gut gebrauchen und ich fand, dass es der Hauptfigur noch mal eine ganz andere Note gibt, wenn man sie so persönlich hört, wie sie an die Schwester schreibt und sich natürlich dabei auch etwas in Szene setzt. Es sollten Briefe sein, von denen sich jede Leserin auch persönlich angesprochen fühlt, als Schwester/Freundin/Vertraute von Emma und natürlich konnte ich in den Briefen noch viel mehr Emmas Haltung zum Leben und ihrem Humor Ausdruck verleihen.
Belletristik-Couch.de:
Einige Details scheinen sehr gut recherchiert, wie zum Beispiel Schiffspassagen, Frachtvorgaben etc. oder das Leben in San Francisco nach dem abflauenden Goldrausch. Wie aufwändig waren die Nachforschungen für diesen Roman?
Anne Müller:
Durch Corona waren Reisen in Museen oder nach Amerika, was ich ursprünglich vorhatte, nicht möglich, aber als Journalistin habe ich Recherche gelernt und das hat sich nun ausgezahlt. Es war eine spannende Reise, was die Spurensuche anging, immer wieder ein Puzzleteil und dann weiter … natürlich habe ich viele Bücher zum Thema Auswanderung gelesen und auf youtube gab es alte Filme, da sah ich eine Schiffspassage auf einem Dampfschiff und das Chinsesenviertel in San Francisco. Ich fand also immer wieder ein Puzzleteil und habe dann meine Fantasie dazu genommen. Auch die wenigen Fotos, die es gab, zur Werft, zum Kontor, dem Wohnhaus habe ich genommen und mir dann ausgemalt, wie es wohl so da drinnen roch und aussah. Das hat viel Spaß gemacht.
Belletristik-Couch:
Ihre Inspirationsquelle, wie in Ihrem Nachwort und Dank zu lesen ist, war die Auswanderung Ihrer Ur-Ur-Großtante nach Amerika. Wer war sie und was konnten Sie noch über sie in Erfahrung bringen?
Anne Müller:
Sie ist 1873 als 20jährige ausgewandert und die Familie weiß nicht, ob allein oder mit einer Cousine oder Schwester gemeinsam. Es hieß, drüben gäbe es gute Arbeitsbedingungen und viele heiratswillige Männer. Meine Ururgroßtante Emma hat dann acht Jahre später einen Werftbesitzer geheiratet und mit ihm in Eureka gelebt. Nach dessen Tod hat sie in zweiter Ehe einen guten Freund und Holzhändler geheiratet, sie hat ihn dann lange überlebt und starb über 100jährig in San Francisco 1954, sehr wohlhabend.
Belletristik-Couch.de:
Wie lange dauerten insgesamt die Vorarbeiten und das Schreiben dieser Geschichte?
Anne Müller:
Ich habe eineinhalb Jahre für alles gebraucht, zunächst die Hauptfigur entwickelt und den Plot, nebenbei recherchiert, dann losgeschrieben und natürlich immer wieder weiterrecherchiert und gelesen, Aufsätze über den Schiffbau gab es viele, ein Bekannter, Lotse und Kapitän, hat mich bei allen Schiffsszenen freundlicherweise beraten.
Belletristik-Couch.de:
Wie geht es Ihnen, wenn ein Roman abgeschlossen ist? Gibt es da vielleicht so etwas wie eine Leere ? – oder überwiegt die Erleichterung, eine Geschichte erfolgreich abgeschlossen zu haben?
Anne Müller:
Nach dem Abgeben war eine Leere da, denn ich hatte sehr schöne Monate mit meinen Figuren verbracht! Sie waren mir so nah die Drei, Emma, Lars und Hans und auf einmal waren sie weg, dann gibt es natürlich noch viele Überarbeitungen und man ist wieder näher dran. Aber dieser erste Wurf, das wirkliche Erfinden von allem, das ist eben etwas anderes und war bei diesem Roman ab einem gewissen Punkt ein einziger Flow und ein selten schönes Schreiben! Und natürlich war ich auch stolz, als ich die letzten Zeilen geschrieben hatte.
Belletristik-Couch.de:
Ist schon ein neues Projekt in Planung? Und wenn ja, können Sie uns schon etwas darüber verraten?
Anne Müller:
Ja, ich sitze an einem neuen Roman, der 1983 spielt, der letzte Sommer nach dem Abitur und vor dem Weggehen von Zuhause, diese Zwischenzeit werde ich dort zum Thema machen. Ist auch historisch, aber eben eine Zeit, die ich kenne und miterlebt habe, ich bin also Zeitzeugin und Autorin zugleich und wenn ich da etwas recherchiere, zum Beispiel die Spontisprüche, die es damals gab, dann ist es ein Wiedersehen mit ehemals Vertrautem. Die Recherche ist mehr ein Abgleich mit der eigenen Erinnerung und ganz anderer Art als bei „Das Lied des Himmels und der Meere“.
Das Interview führte Monika Wenger im April 2022.
Foto: © Antonina Gern
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