09.2015 Letztes Jahr war er mit "Das Sandkorn" für den deutschen Buchpreis nominiert, nun legt Christoph Poschenrieder mit Mauersegler ein Buch nach, welches sich eines überaus aktuellen Themas unserer alternden und wandelnden Gesellschaft annimmt. Im Gespräch mit der Belletristik-Couch gibt der Autor Einblicke in seine Gedanken über das Älterwerden und Spaß, Tod und Komik.

Männer wollen immer wie Jungs sein, fürchte ich.

Belletristik-Couch:
Herr Poschenrieder, ihr neues Buch Mauersegler ist vor einigen Tagen erschienen, darin entschließen sich fünf Freunde zur Gründung einer Altherren-WG. Sie wollen nicht ruhig und gelangweilt den Lebensabend verbringen, sondern sich frei von Zwängen und Erwartungen bewegen können. Eine ungewöhnliche Idee, ganz entgegen dem Bild vom gebrechlichen Rentner. Ist diese WG Ausdruck eines Wandels in unserer Gesellschaft oder nur der vereinzelte Wunsch besonders exzentrischer Senioren?

Christoph Poschenrieder:
Diese WG in ihrer besonderen Zusammensetzung und Lage ist sicher etwas exzentrisch. Aber ich glaube auch, dass lebenslange Freundschaften wichtiger werden, wenn der familiäre Rückhalt schwindet. Welche Alternative haben Alleinstehende, Kinderlose denn?

Belletristik-Couch:
Die fünf Freunde wollen zusammen Spaß haben wie damals, als sie gemeinsam die Kindheit verbrachten. Sie wollen die Zeit zwischen Kindheit und Ruhestand, das Arbeitsleben, das Streben nach Erfolg und Geld, und auch die Verantwortlichkeiten gegenüber den Familien, hinter sich lassen. Wollen die Männer in ihrem Roman wieder Jungs sein?

Christoph Poschenrieder:
Männer wollen immer wie Jungs sein, fürchte ich. Diese fünf haben mit einem Mal die Gelegenheit und die Mittel. Ich würde es auch so machen. Anders ausgedrückt: es ist eher die Möglichkeit, wieder spielen zu können.

Belletristik-Couch:
Wie sehr reizt Sie persönlich die Idee der WG? Haben Sie sich mit guten Freunden schon auf einen ähnlichen Plan zur zukünftigen Gründung einer WG für ältere Männer geeinigt?

Christoph Poschenrieder:
So weit sind wir noch nicht, aber ich will es mal nicht ausschließen. Übrigens auch keine Frauen. Der reizvolle Gedanke ist wohl, mit den Leuten zusammen zu sein, deren Gesellschaft man über viele Jahre gesucht und genossen hat. Warum sollte das aufhören, nur weil man nicht mehr so beweglich ist?

Belletristik-Couch:
Das vergnügliche Zusammenleben der fünf Freunde ist ein Thema im Buch, das zweite Thema ist weniger fröhlich, es ist ernster und mitunter bedrückend. Der Tod, so wird mehrfach gesagt, ist nicht das Problem, davor fürchten sich die fünf Männer nicht. Es ist die Entscheidungsgewalt über das eigene Ende. Die Protagonisten des Romans wollen selbst wählen, wann und wie sie aus dem Leben treten.

Christoph Poschenrieder:
Sie wollen vor allem nicht herausgerissen werden aus ihrer Umgebung, um allein im Krankenhaus zu sterben, sondern bei ihren Freunden bleiben. Dass es nicht so einfach ist – wenn auch eine schöne Vorstellung –, die Umständes des eigenen Todes zu kontrollieren, wird im Verlauf des Romans ja klar. Aber allein der Versuch es zu tun, ist ja schon ein Schritt in die richtige Richtung, finde ich.

Belletristik-Couch:
In Deutschland ist Sterbehilfe verboten, das wird auch im Buch zum Problem. Neben dem rechtlichen Rahmen gibt es aber noch weitere Gründe zur Sorge. Der Umgang mit dem Tod wird in den entscheidenden Momenten fast unerträglich, einzig die Komik kann die Situationen retten. Sind die Männer im Buch doch nicht so stark?

Christoph Poschenrieder:
Der Tod ist jedenfalls stärker, das wissen die auch alle. In einen aussichtslosen Kampf kann man, glaube ich, mit einer gewissen Gelassenheit gehen. Die Komik mag mancher für unangebracht halten, gar pietätlos, ich finde sie unumgänglich, weil sie die Distanz schafft, um die Dinge genauer zu betrachten: Auch die, die einem sehr, sehr nahe kommen.

Belletristik-Couch:
Welche Rolle spielt die Technik bei der freundschaftlichen Sterbehilfe im Roman?

Christoph Poschenrieder:
Einer der WG-Bewohner, ein Software-Pionier der ersten Stunde, schreibt ein Programm, das die gegenseitige Sterbehilfe regeln soll. Dann erfindet er noch eine weitere Sache, so etwas wie den "Totmannknopf“, den Lokomotivführer alle paar Sekunden betätigen müssen. Ohne allzuviel zu verraten: die Technik ist dann auch nicht die Lösung für alle Fragen, die sich auftun. Wie immer.

Belletristik-Couch:
Sterbehilfe ist ein aktuelles Thema in der Politik und in weiten Teilen der Gesellschaft. In welche Richtung geht die Entwicklung?

Christoph Poschenrieder:
Ich glaube, ich hoffe, es wird zu einer gewissen Liberalisierung kommen. Die Einzelheiten werden sicher sehr schwer zu formulieren sein. Vielleicht ist es auch besser, die Einzelheiten auszusparen – weil wohl kaum ein Fall wie der andere ist – und eine Grauzone mögichen Tun und Unterlassens zuzulassen. Was fallen sollte, ist das kategorische Verbot. Ich glaube es wird ohnehin umgangen, viel öfter als man denkt.

Belletristik-Couch:
Was möchten Sie mit ihrem Buch zur gegenwärtigen Diskussion beisteuern?

Christoph Poschenrieder:
Das ist in erster Linie mal ein Roman, ein Produkt der Imagination, und kein Thesenvehikel. Mit Botschaften und Diskussionsbeiträgen habe ich es nicht so. Wenn die eine Leserin oder der andere Leser vielleicht mal ins Grübeln kommt, gut. Soll sich jeder nehmen, was er findet.

Belletristik-Couch:
Gab es ein Erlebnis, ein Ereignis oder eine Bekanntschaft, die Sie zum Schreiben des Buches anregte?

Christoph Poschenrieder:
Nichts besonderes… eher die allmähliche Verschiebung der eigenen Perspektive und des Panoramas, das sich für die verbleibenden Jahre bietet. Ich bin jetzt 51. Mit 15 hätte ich gesagt, der Tod, was geht mich das an?, aber jetzt scheint er doch in der Nachbarschaft einzuziehen. Jedenfalls hat er sich letzthin öfter mal blicken lassen. Da will ich nicht ganz unvorbereitet sein.

Belletristik-Couch:
Vielen Dank für ihre Zeit, Herr Poschenrieder.

  

Das Interview führte Sebastian Riemann im August 2015.

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