09.2013 Mit Meister und Margarita sicherte sich Nitzberg eine Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse 2013. Seine Arbeit gilt als "Jahrhundertübersetzung" und selbst Denis Scheck, von "Druckfrisch", bekannt dafür Bücher in Mülltonnen ähnliche Kisten zu versenken, lobte Nitzberg als "großen und wichtigen Übersetzer". Dem Übersetzer, der 1969 in Moskau geboren wurde und der heute in Wien lebt, ist mit der Neuübersetzung von Michail Bulgakows Das hündische Herz wieder eine wunderbare Arbeit gelungen.

Über kunstvoll gestaltete Sprache und die Bissfreudigkeit eines Hundes

Belletristik-Couch:
Übersetzer sind ruhige Menschen, leise, ziehen sich gerne zurück, eher intro- als extrovertiert, nachdenklich und nachdenkend und lieben es nicht, an erster Stelle zu stehen. Trifft davon irgendetwas auf Sie zu?

Alexander Nitzberg:
Sie sprechen von individuellen Charakterzügen, nicht von notwendigen Voraussetzungen und schon gar nicht von ethischen Richtwerten, obwohl einige Kollegen dies sicherlich glauben. Warum denn auf einmal so bescheiden? Nur dienende Magd sein? Sich selbst negieren? Schamvoll sein Gesicht verhüllen? Ich bin kein Nachtschattengewächs. Den Spruch »Echte Qualität setzt sich durch« halte ich für einigermaßen naiv. Seien wir ehrlich: Es ist doch nicht so, als würde sich alle Welt von morgens bis abends nur fragen: Was ist das Beste an russischer Dichtung? Tatsache ist, dass sich Qualität erst dann durchsetzt, wenn jemand beständig andere auf sie aufmerksam macht.

Belletristik-Couch:
In welcher Sprache träumen Sie?

Alexander Nitzberg:
Manchmal auf Russisch, manchmal auf Deutsch. Oft aber auch nur in Bildern.

Belletristik-Couch:
Sie sind in Moskau geboren, leben jetzt in Wien. Ist Russisch die Sprache, bei deren Klang Ihnen das Herz aufgeht?

Alexander Nitzberg:
Ich liebe alle Sprachen, ganz gleich ob die russische, die deutsche, die italienische oder die arabische. Vor allem, wenn sie kunstvoll gestaltet sind. Gerade in der Dichtung nehmen wir die ungeahntesten Wirkungen der Sprachen wahr.

Belletristik-Couch:
Wer früher von Marcel Reich-Ranicki für ein Werk gelobt wurde, erhielt praktisch den Ritterschlag des großen Kritikers. Denis Scheck (Druckfrisch) hat zu Ihrer Übersetzung von "Meister und Margarita" gesagt: "Alexander Nitzberg ist ein großer und wichtiger Übersetzer." Ehrt es Sie ganz besonders, wenn ein Scheck, der ätzend bissig sein kann, ein derartiges Lob ausspricht?

Alexander Nitzberg:
Es freut mich, weil es letztlich den Büchern hilft und auf sie aufmerksam macht. Aber Kritik ist etwas sehr Kurzlebiges und Wechselhaftes. Man sollte ihr als Schaffender nicht zu viel Beachtung schenken, ganz gleich, ob sie gut oder böse gemeint ist.

Belletristik-Couch:
Ich habe gerade Ihre Übersetzung von Bulgakows "Das hündische Herz" gelesen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, bin kein Freund von sprechenden Hunden, war ich sehr begeistert. Ohne Ihre Übersetzung hätte ich dieses Buch nie lesen können. Stört es Sie, das Übersetzer oft in der zweiten Reihe hinter den Autoren stehen? Sie gehören zu beiden Gruppen. Sind Übersetzer und Autor.

Alexander Nitzberg:
Sprechen wir von Übersetzung im Sinne von Kunst, dann besteht zwischen dem Übersetzer und dem Autor kein Unterschied. Beide arbeiten schöpferisch mit dem Material der Sprache. Ist der Musiker denn nicht genauso Künstler wie der Komponist, dessen Werk er interpretiert? Und die Kunst des einen misst sich nicht ausschließlich an der Kunst des anderen.

Belletristik-Couch:
Wie gehen Sie vor, wenn Sie beginnen, ein Buch ins Deutsche zu übertragen?

Alexander Nitzberg:
Es kann hilfreich sein, möglichst wenig über das Werk zu wissen, um nicht auf falsche Fährten zu gelangen. Ein frischer, unvorbelasteter Blick wirkt manchmal Wunder. Bei Bulgakow, dessen Bücher ich seit meiner Kindheit kenne, musste ich mir diese Unbefangenheit erst mühsam erkämpfen.

Belletristik-Couch:
Warum Bulgakow? Sie haben bereits für Ihre Übersetzung von "Meister und Margarita" viel Lob bekommen.

Alexander Nitzberg:
Ich habe mich lange mit der russischen Moderne beschäftigt. Michail Bulgakow ist ein wichtiger Exponent jener Zeit. Kommt einer, wie ich, aus der Lyrik, liest er ihn womöglich mit ganz anderen Augen – als einen grellen Poeten voller Farben, Rhythmen und metaphorischen Verschrobenheiten.

Belletristik-Couch:
Bulgakow war Arzt. Kennt sich aus mit der Materie. Wurde Ihnen nicht streckenweise Übel beim Übersetzen der Passagen, in denen Operateur Filipp Filippowitsch Preobraschenski und sein Assistent Dr. Bormenthal in den Eingeweiden des Hundes herum wühlen?

Alexander Nitzberg:
In der Tat. Da litt ich förmlich an Depressionen. Doch beim Übersetzen ist es wichtig, sich von persönlichen Gefühlen nicht zu sehr leiten zu lassen. Schließlich geht es nicht darum, Zustände zu erleben, sondern sie im Leser mit Hilfe der Sprache selbst auszulösen, für die drastische Sprache des Originals eine drastische Entsprechung im Deutschen zu finden. Ein Übermaß an eigenen Emotion kann da durchaus hinderlich sein. Wie sagt Oscar Wilde: Das Herz des Dichters ist sein Kopf!

Belletristik-Couch:
Sie gelten als Poet der Übersetzer. Stört es Sie oder sehen Sie es als Kompliment?

Alexander Nitzberg:
Das ist eine Tatsache. Denn ich bin Lyriker und beschäftige mich mit Übersetzung als Lyriker. Der Klang, der Rhythmus, die Bilder der Sprache sind für mich etwas Essentielles. Ich habe Bulgakows Prosa genauso übersetzt, wie ich ein Gedicht übersetzen würde. Ich meine, mit denselben Kunstgriffen.

Belletristik-Couch:
In Ihrer deutschen Übersetzung heißt der Hund Lumpi. Wie wohl jeder dritte Hund im Lande. Im russischen Original heißt er Šarik, ein typischer Hundename in Russland - wie Sie selbst anmerken. Wie deutsch ist Ihre Seele, damit Sie von Šarik auf Lumpi kommen?

Alexander Nitzberg:
Ein Schriftsteller (wie auch ein Übersetzer) sollte genügend Register kennen, über ein großes Arsenal von sprachlichen Wendungen und Stilen verfügen. Muss er, wenn er in seinem Buch zum Beispiel rustikale Floskeln verwendet etwa gleich selbst ein Bauer sein? Oder wenn er die Umgangsformen des 19. Jahrhunderts beschreibt, in einer anderen Zeit leben?

Belletristik-Couch:
In jedem Buch steckt etwas vom Autor. Steckt etwas Nitzberg auch "Im hündischen Herz"?

Alexander Nitzberg:
Vielleicht etwas von der Energie und der heiteren Bissfreudigkeit des Hundes.

Belletristik-Couch:
Ist es nicht entmutigend eine Geschichte zu übertragen, deren erster Satz nach dem Titel lautet, "eine fürchterliche Geschichte"?

Alexander Nitzberg:
Im Gegenteil, es motiviert und ermutigt. Wenn die Geschichte fürchterlich ist, dann darf auch kräftig zugepackt werden.

Belletristik-Couch:
Verraten Sie mir Ihre nächsten Projekte?

Alexander Nitzberg:
Ich übersetze gerade Gedichte von Maxim Amelin, welchen ich für den interessantesten jüngeren Dichter Russlands halte. Sie erscheinen im Herbst im Wiener Klever Verlag.

Belletristik-Couch:
Haben Sie vielen Dank Herr Nitzberg und ich wünsche Ihnen noch viele Preise und uns die sehr gelungenen Übersetzungen besonderer Autoren.

  

Das Interview führte Britta Höhne im Juli 2013.

Film & Kino:
The Crown - Staffel 3

Die Queen in ihrer vordergründig repräsentativen Rolle ist eine zeitgeschichtliche Ikone, sodass der Erfolg der seit 2016 bei Netflix laufenden Serie „The Crown“ nicht verwundert. Die dritte Staffel markiert allerdings einen Umbruch: Die Royal Family ist in den 60er-Jahren angekommen und viele Rollen werden neu besetzt, da auch die Blaublüter nicht vor dem Altern gefeit sind. Titel-Motiv: © Des Willie / Netflix

zur Film-Kritik