Helene Bockhorst

04.2020 Yannic Niehr im Gespräch mit Helene Bockhorst, Autorin von "Die beste Depression der Welt".

"Wir Menschen sehnen uns immer nach einfachen Erklärungen und möchten sagen können: Dieses eine Ereignis, das hat dafür gesorgt, dass diese Person so und so geworden ist. Die Wahrheit ist aber viel komplizierter,..."

Belletristik-Couch.de:
Von einer Stand-Up-Comedienne zur Romanautorin – können Sie uns etwas über Ihren Werdegang und Ihre Erfahrungen im Bereich Comedy (for better or worse nach wie vor eher eine Männerdomäne) berichten?

Helene Bockhorst:
Ich habe nichts gegen Männer und bin deswegen bisher immer sehr gut zurechtgekommen. Wie die meisten Comedians habe ich mit unbezahlten Auftritten bei kleinen offenen Bühnen angefangen und dann mehr und mehr Angebote für größere Auftritte bekommen. Wenn ich einen Rat oder Feedback gebraucht habe, konnte ich mich dabei immer auf meine Kollegen verlassen - völlig unabhängig vom Geschlecht.

Belletristik-Couch.de:
Das Thema Depressionen scheint auf dem Vormarsch zu sein, gerade bei Comedians (Ihr Kollege Torsten Sträter ist da nur ein Beispiel). Wie kann Humor Ihrer Meinung nach dazu beitragen, die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen weiter aufzulösen?

Helene Bockhorst:
Humor ist ein Bewältigungsmechanismus; in dem Moment, in dem man einen Witz über eine schmerzliche Erfahrung macht, kann durch das Lachen etwas von dem Schmerz aufgelöst werden. Es hat auch etwas Tröstliches, wenn man sich sagt: Ja, das war schlimm, aber wenigstens ist es jetzt eine gute Geschichte. Und ich glaube, dass es weiterhin wichtig ist, über Depressionen und andere psychische Erkrankungen zu sprechen, weil es nach wie vor viele Menschen gibt, die sich für ihre Probleme schämen und sich nicht trauen, mit ihrem Umfeld darüber zu reden. Ich habe neulich in der Talkshow "Kölner Treff" erwähnt, dass ich immer noch eine Therapeutin aufsuche, und daraufhin habe ich unglaublich viele Nachrichten bekommen von Zuschauern, die auch in Therapie sind, aber diese Tatsache selbst ihren Freunden verheimlichen. Es ist leider in manchen Kreisen nach wie vor ein Tabu, sich Hilfe zu holen; man möchte nicht zu den "Verrückten" gehören und leidet deswegen still vor sich hin.

Belletristik-Couch.de:
An einer Stelle des Buches gehen Sie darauf ein, dass man der durchschnittlichen Leserschaft gute Gründe (z.B. eine auslösende Tragödie) dafür liefern muss, wieso eine Figur, die eigentlich jung, schön und problemfrei ist, Depressionen bekommt, da dies sonst auf Unverständnis stößt – stellen aber gleichzeitig klar, dass das eigentlich nicht der Realität entspricht: Es kann jeden treffen. Dennoch räumen Sie der Hintergrundgeschichte Ihrer Protagonistin und ihrer unschönen Kindheit eine Menge Raum in Ihrem Roman ein. Ist das denn nicht in etwa dasselbe?

Helene Bockhorst:
Nein, das ist nicht dasselbe. Wenn zwei Romanfiguren einen Dialog führen, ist das, was sie sagen, natürlich davon gefärbt, welche (fiktiven) Erfahrungen und Einstellungen diese Figuren haben. Wenn diese Romanfiguren zu einem Konsens kommen, heißt das nicht, dass ich als Autorin etwas klarstelle. "Die Realität" gibt es im Roman nicht. Und einer Handlung Raum zu geben, impliziert keine Kausalität.

Wir Menschen sehnen uns immer nach einfachen Erklärungen und möchten sagen können: Dieses eine Ereignis, das hat dafür gesorgt, dass diese Person so und so geworden ist. Die Wahrheit ist aber viel komplizierter, niemand kann sagen, ob eine Person nicht auch depressiv geworden wäre, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre. Und bei Romanfiguren gilt das erst recht.

Belletristik-Couch.de:
In mehreren Passagen beschreibt Vera ihre negativen Gedankenkreisel als „das schwarze Tier in meinem Kopf“. Deckt sich dies mit Ihren eigenen Erfahrungen? Und wieviel Helene steckt eigentlich in Vera? Sind ihre Schwierigkeiten, ein Buch über das Thema Depressionen fertigzustellen, sozusagen „based on a true story“?

Helene Bockhorst:
Auch wenn Vera eine erfundene Figur ist, die eine ganz andere Lebensgeschichte hat als ich - die Gedanken und Gefühle, die geschildert werden, habe ich genau so erlebt. Wie sich die Depression für mich angefühlt hat, welche Sorgen und Ängste ich in den besonders schwierigen Phasen hatte, all das habe ich so schonungslos und ehrlich wie möglich aufgeschrieben. Aber ich habe auch mit anderen Betroffenen gesprochen und da, wo es passte, ihre Wahrnehmungen einfließen lassen.

Natürlich hatte ich auch Probleme und Selbstzweifel beim Schreiben. Es ist nicht einfach, etwas Bleibendes zu schaffen und damit zu leben, dass das Ergebnis dann so ist, wie es ist - gerade wenn man Depressionen hat. Aber ich hatte den Vorteil, dass ich sehr viel zu tun hatte und deswegen gezwungen war, in den begrenzten Zeitfenstern, die mir zur Verfügung standen, den inneren Kritiker abzuschalten und produktiv zu sein. Vera hängt ja die ganze Zeit zu Hause und denkt über ihr Buchprojekt nach, verwirft ein Konzept nach dem anderen; sie hat keine anderen Verpflichtungen, keinen regelmäßigen Rhythmus, in so einer Situation fängt die Zeit an zu verschwimmen. Ich war viel auf Tour, hatte Soloshows und Fernsehaufzeichnungen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen habe ich mich abends nach meiner Show in meinem Hotelzimmer hingesetzt und drei Seiten geschrieben.

Belletristik-Couch.de:
Vera probiert so einiges aus, um entweder Motivation zu finden oder ihre Depressionen zu lindern: Sie versucht, zu meditieren, trifft sich mit einer Lachyogagruppe, will mithilfe einer Esoterikerin zu den Wurzeln vordringen... um nur einiges zu nennen. Was haben Sie selbst probiert? Haben Sie ihr „Patentrezept zur Depressionsprophylaxe“ schon gefunden?

Helene Bockhorst:
Ich habe fast alles, was Vera ausprobiert, um die Depression zu besiegen, selber getestet - ich war beim Meditationskurs und beim Lachyoga, bin nach Japan gereist, habe eine Schamanin besucht... Das Einzige, was ich nicht aus erster Hand weiß: Ich habe nie Kokain genommen. Stattdessen habe ich auf Twitter nachgefragt, wie sich das anfühlt, und habe über hundert Nachrichten von hilfsbereiten Drogenkonsumenten bekommen, die mir ihre Erfahrungen beschrieben haben. Zum Glück, denn dadurch musste ich das nicht selber machen.

Ich persönlich glaube nicht, dass es ein Patentrezept zur Depressionsprophylaxe gibt, sondern habe akzeptiert, dass depressive Phasen wohl längerfristig zu meinem Leben gehören. Durch die Therapie habe ich aber gelernt, besser damit umzugehen.

Das Interview führte Yannic Niehr im April 2020.
Foto: © Sascha Moll

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