Garp und wie er die Welt sah

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 1979
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  • New York: Dutton, 1978, Titel: 'The world according to Garp', Seiten: 437, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2012, Seiten: 889
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1979, Seiten: 634, Übersetzt: Jürgen Abel
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1982, Seiten: 634
  • Berlin: Volk und Welt, 1988, Seiten: 643
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990, Seiten: 634
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995, Seiten: 646
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1998, Seiten: 643
  • München: Heyne, 2002, Seiten: 19, Übersetzt: Rufus Beck
  • Berlin: Ullstein, 2003, Seiten: 19, Übersetzt: Rufus Beck
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008, Seiten: 643
Garp und wie er die Welt sah
Garp und wie er die Welt sah
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Wolfgang Franßen
921001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2011

Frauen

Viele Söhne tragen die Namen ihrer Väter. Wenn es auch im Falle von T.S. Garp eher ein Spender als ein Familienoberhaupt ist. Der Mann, den sich Jenny Fields für ihren Sohn aussucht, wird wegen seiner Hirnverletzung nie wissen, dass er ein Kind in die Welt gesetzt hat. Was gegen Ende des 20. Jahrhunderts üblich ist, dass Frauen Kinder lieber ohne einen Mann an ihrer Seite aufziehen, gleicht in der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg einer Rebellion gegen das dominierende Patriarchat. Es ist eine Welt voller Mütter und um Anerkennung ringender Frauen, die John Irvings Roman ihren absurden Humor verleihen.  Feminismus, Selbstverstümmelung, sexuelle Gewalt, Transsexualität und unnatürliche Tode werden als Übersteigerung eingefangen.

Der am 2. März 1942 in Exeter, New Hampshire, geborene John Irving hat der Literatur nicht nur gezeigt, wie wichtig es ist, sich mit Bären und Ringen zu beschäftigen, und dass Familien vor allem aus jenen Mitgliedern bestehen, die einen verlassen haben; er ist auch der Autor des "Garp und wie er die Welt sah". Mit dem er unter Beweis stellte, dass politische wie gesellschaftliche Zeitströmungen sich in Geschichten bündeln und durch skurrile Figuren und bizarre Szenen leichter Hand hinterfragen lassen. Der Diogenes Verlag nutzt nun seinen 70. Geburtstag zur Neuauflage des Romans in einer überarbeiteten Übersetzung.

So außergewöhnlich wie die Mutter ist auch der Sohn. Wir möchten so gerne daran glauben, dass Schriftsteller einer Leidenschaft, einer Obsession folgen, wenn sie sich daran setzen, ein Buch zu schreiben. Bei Garp ist das ganz einfach. Helen Holms, seine große Liebe, will nur einen Schriftsteller heiraten. Also wird Garp Schriftsteller. Das Leben kann so einfach sein, sagt Irving. Es bedarf nur der klaren Entschlüsse. Eine Mutter wünscht sich ein Kind, also besorgt sie sich den Samen. Die Liebe setzt voraus, dass Garp Bücher schreibt, also zieht er in das von Irving geliebte Wien und macht sich daran, eine Kurzgeschichte zu verfassen, mit der er das Herz seiner Angebetenen erobern will. Dass die Mutter auf dem Buchmarkt mit ihrem eigenen Werk einen viel größeren Erfolg erzielen wird als der Sohn, gehört zu dem augenzwinkernden Witz eines John Irving.

Seine Kunst besteht darin, Höllen nicht als Bergmannsche "Schwarz-Weiß-Epen" zu entwickeln, sondern die Schrauben des verworrenen Lebens, der absurden Hoffnungen soweit anzuziehen, dass es zu Szenen wie in der Garageneinfahrt kommt. Als die zum Seitensprung neigende Hellen einen letzten Blow Job verrichtet, rammt Garp mit den Kindern von hinten den Wagen des Rivalen. Nie ist eine männliche Kastrationsvorstellung angesichts überbordender Eifersucht so tragisch-komisch beschrieben, nie sich eines Nebenbuhlers auf so charmante, schicksalhafte Weise entledigt worden.

Womit wir bei der Fragen sind: Warum soll alles Tragische tragisch bleiben? Ist es nicht so, dass wir über unsere Schicksalsschläge nach einigen Jahren, vor allem, wenn wir sie überlebt haben, oftmals lachen können? Irving schreckt nicht davor zurück, ein in den 70er Jahren heiß diskutiertes, Fronten erschaffendes Thema wie den Feminismus so ernst zu nehmen, dass er anlässlich der Beisetzung von Garps erschossener Mutter "die erste feministische" Beerdigung ausstattet.

Das sind Irvings große Themen: Frauen und ihr Versuch, sich in der Welt zurecht zu finden, die Sehnsucht nach Liebe, die Familie als Hort, der alltägliche Irrsinn, der nur eine Nuance weitergedacht, weiter geschrieben werden muss, um den amüsanten Kern bloßzulegen. Klein von Gestalt, aber reich an Leben, mit einer starken femininen Seite stattet Irving gerne seine Helden aus. Sie sind zumeist auf Wanderschaft. Garp wird es immer wieder nach Wien ziehen. In jene plüschige Stadt, in der die Liebe zum Dekor gehört.

Auch John Updike, mit dem Irving seinen sprachlichen Reichtum teilt, hat über Ehebruch, Swinger, implodierende Familien geschrieben. Wenn auch nüchterner, schärfer. Vor allem kürzer. John Irving kommt selten mit drei-, vierhundert Seiten aus. Er braucht Raum, um seine burlesken Netze zu spinnen. Um eine Figur wie Ellen James zu entwickeln. Sie ist vergewaltigt und ihr ist die Zunge herausgeschnitten worden. Plötzlich sieht sie sich zur Ikone des Protestes gegen männliche Gewalt auserkoren. Als Bannerträgerin wider Willen umgeben von fanatischen Anhängerinnen, die im krassen Gegensatz zu jenem selbstbewussten Feminismus einer Jenny Fields stehen.

Was für eine Tragik. Die Hauptfiguren allesamt ermordet. Was für ein Wagnis. Die ideologische Brille anzulegen und dabei bestens zu unterhalten. Garps Welt ist eine Frauenwelt. Eine Welt voller leiblicher und verwandter Mütter im ständigen Kampf um sich.

Und von alldem bleibt nur eins, nach all den Jahren noch: Ein Schmunzeln darüber wie verrückt die Welt doch ist.

Garp und wie er die Welt sah

John Irving, Rowohlt

Garp und wie er die Welt sah

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