Der Junge aus dem Meer

Der Junge aus dem Meer
Der Junge aus dem Meer
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Carola Krauße-Reim
781001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2025

Man wird mit der Geschichte nicht warm.

Garrett Carr ist in der kleinen Küstenstadt Killybegs, County Donegal, Republik Irland geboren. Heute lebt er in Belfast, Nordirland und unterrichtet Kreatives Schreiben an der dortigen Universität. „Der Junge aus dem Meer“ ist Carrs Debütroman, nachdem er mit „The Rule of the Land“ einen Reisebericht veröffentlicht hat, der allerdings bis jetzt nicht ins Deutsche übersetzt wurde.

Das Findelkind von Killybegs

1973 wird ein Neugeborenes in Killybegs in einer Plastiktonne gefunden, gestrandet an der Flutlinie zwischen alten Tauen, Schiffswracks und Müll. Der Junge bringt den kleinen Fischerort ziemlich durcheinander, bevor er bei Ambrose Bonnars und seiner Familie landet. Ambrose adoptiert das Kind und es wird Brendan getauft. Doch die Familie hat schon einen Sohn, Declan, der sich nun zurückgesetzt fühlt. Die Rivalität der beiden Brüder hält sich während sie aufwachsen. Für Killybegs kommt Brendans Auftauchen fast einem Wunder gleich, das es zu erhalten gilt. Doch dann kommen Gerüchte auf, die Brendan nicht nur Probleme mit seinem Bruder einhandeln.

Einblick eine irische Fischerfamilie

Während in Nordirland die Gewalttätigkeiten ihren Höhepunkt erreichen, führt man im wenig entfernten Killybegs das übliche Leben. Die kleine Fischgemeinde hat mit dem Meer und seinen Tücken zu kämpfen, mit Armut und der Sorge, wie es wohl in Zukunft weitergehen soll. Doch alle halten zusammen, wie es in Irland üblich ist. Carr ist in Killybegs geboren, weiß also wovon er schreibt. Und das merkt man. Die Situation der Fischer und ihrer Familien ist in jedem Satz spürbar. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden, die kraftzehrende Fischerei ist das tägliche Brot. Alles muss sich ihr unterordnen, denn sie bedeutet das Überleben. Ein gutes Boot macht die Aussicht auf einen reichen Fang größer, doch das muss erst einmal bezahlt werden. Die Gemeinde hält zusammen, was aber auch manchmal Misstrauen allem Neuen gegenüber bedeutet. Carr nimmt die Familie Bonnar als Beispiel für das Leben in den 1970er-Jahren in der Republik Irland. Das schafft er eindrücklich, atmosphärisch dicht und setzt damit das Kopfkino in Gang. Doch seine Art der Darstellung setzt auch Grenzen. Und Authentizität und Atmosphäre allein können einen Roman nicht als Gerüst dienen.

Distanziert und sachlich

Während man bei der Vorstellung eines Findelkindes und einer in Armut lebenden Gemeinschaft einen emotionalen Grundton in der Geschichte annimmt, muss man diesen jedoch, fast schon schmerzlich, missen. Carr erzählt die Geschichte der Familie Bonnar distanziert, emotionsarm und sachlich. Als Erzähler dient ein Bewohner Killybegs, dessen Identität man aber nie kennenlernt. Er berichtet als neutraler Beobachte, lässt als Außenstehender keinen emotionalen Einblick in die Familie Bonnar zu und kann als Externer auch keine Auskunft über ihr tatsächliches Innenleben geben. Der Chronist kann nur beobachten und aus diesen Beobachtungen Schlüsse ziehen. Das macht die Geschichte recht zäh und die Protagonisten unnahbar.

Zwei rivalisierende Brüder

Während man von Declan einiges erfährt, bleibt der titelgebende Junge aus dem Meer fast eine Nebenfigur. Der Zwist zwischen den Brüdern hält sehr lange an, doch wird er fast nur durch Declan thematisiert. Declan interessiert sich für das Kochen, doch muss auf einem Fischtrawler anheuern. Er ist auf Brendans scheinbar unbeschwertes Leben neidisch. Declan nimmt es ihm übel, dass er adoptiert wurde und seine Situation auszunutzen scheint. Brandon dagegen lebt am Rande der Familie, obwohl er ein Teil von ihr ist. Fast scheint er sich nicht integrieren zu wollen. Diese angespannte Situation, und ihre Entwicklung im Laufe der Zeit, hätte durch greifbare und emotional ansprechende Protagonisten eine wirklich packende Geschichte abgeben können. Doch so sehen wir Declan und Brendan immer nur von außen und diese distanzierte Betrachtung führt zu distanzierter Wahrnehmung ihrer Beziehung und Problematik.

Fazit

„Der Junge aus dem Meer“ ist ein Porträt des Fischerlebens und des Zusammenhaltes einer Gemeinde. Doch Distanz und fehlende Emotionalität machen die Lektüre nicht leicht. Ein Debütroman, der vielleicht besonders Irland-Fans gefallen könnte, denn die Atmosphäre eines kleinen irischen Fischerörtchens ist Garrett Carr sehr authentisch gelungen.

Der Junge aus dem Meer

Garrett Carr, Rowohlt

Der Junge aus dem Meer

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