Die Nachbarin

  • Insel
  • Erschienen: April 2025
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Die Nachbarin
Die Nachbarin
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Marianne Schäper-Mürmann
851001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2025

Wie entscheidend sind Schönheit und Jugend, wenn man sich verliebt?

Imogen und ihr 15 Jahre älterer Ehemann Evelyn Gresham leben mit ihrem Sohn Gavin in den 1950er Jahren in einem kleinen Dorf in Berkshire. Evelyn arbeitet als erfolgreicher Anwalt in London, Imogen sieht ihre Aufgabe darin, das häusliche Leben entsprechend Evelyns Ansprüchen zu organisieren. Nach und nach verbringt Evelyn immer mehr Freizeit mit Blanche, der alleinstehenden 50-jährigen Nachbarin. Sie ist nicht gerade eine attraktive Frau, kleidet sich in groben Tweed, trägt unförmige Hüte und liebt Pferdesport, Jagen und Fischen.

„Weißt du denn so genau, in wen Männer sich verlieben?“

Die Beziehung der Greshams hat sich in den gemeinsamen Jahren zum Negativen verändert. Evelyn geht völlig in seinem Beruf als Anwalt auf und ist nicht mehr der gefühlvolle Romantiker wie zu Beginn. Vielmehr hat er sich zum strengen, ungeduldigen und kritischen Herrn des Hauses entwickelt, der von seiner Ehefrau in erster Linie die Sorge für einen reibungslosen Ablauf seines häuslichen Lebens erwartet. Die feinfühlige Imogen, nun nicht mehr die jugendliche Schönheit der ersten Jahre, der man manches nachgesehen hat, sieht es als ihre wichtigste und ihrem Leben Sinn gebende Aufgabe an, den Ansprüchen ihres Ehemannes zu genügen. Dabei fürchtet sie nichts mehr, als dabei zu scheitern. Ihr fehlendes Selbstvertrauen lässt sie in ständiger Angst leben, ihr könne ein Fehler unterlaufen und sie Evelyns Missfallen erregen. Für Imogen ist es selbstverständlich, sich den Bedürfnissen und Ansichten ihres Mannes zu unterwerfen. Selbst dem 11jährigen Gavin, der seinem Vater in vielem ähnlich ist, fühlt sie sich nicht gewachsen, sie begegnet auch ihm mit fehlendem Selbstbewusstsein und nimmt seine Launen resignierend hin.

Die Tatsache, dass Evelyn mehr und mehr Zeit mit der Nachbarin Blanche verbringt, beunruhigt Imogen zunächst nicht. Die in ihrem Äußeren völlig unattraktive und -nach damaligem Verständnis- ältere Frau stellt in ihren Augen keine Konkurrentin dar. Recht schnell wird Blanche für Evelyn jedoch eine unentbehrliche Vertraute, die ihm mit ihrer Stärke und ihrem Blick für das Notwendige den Rücken freihält, so dass er sich völlig seinen beruflichen Herausforderungen widmen kann. Für Imogen wird erst spät klar, dass Blanche eine völlig andere Anziehungskraft auf Evelyn ausübt als sie es jemals vermochte. Die Wertschätzung, die er Blanche entgegenbringt, bleibt für sie unerreichbar, aber auch weitgehend unverständlich.

Zeitloses Thema perfekt in Szene gesetzt

Mit scharfer Beobachtungsgabe und einer wunderbaren, lebendigen Sprache schildert die Autorin das Geschehen zwischen Imogen, Evelyn und Blanche. Obwohl aus dem Blickwinkel Imogens erzählt, bleibt sie dabei immer unparteiisch.

Meisterhaft gelingt die behutsame und glaubwürdige Entwicklung der Handlung: Evelyn erfolgreich in seinem Bemühen um eine ordnende Hand für sein privates tägliches Leben; Blanche immer mehr aufblühend in der Rolle der liebenden Gefährtin. Imogen schließlich gedemütigt angesichts des drohenden Bedeutungsverlustes als Ehefrau.

Eingebettet in die Geschichte der Greshams wird das Leben ihrer Freunde und Kollegen unterhaltsam erzählt; unter ihnen mangelt es nicht an interessanten und sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Elizabeth Jenkins lässt hier anschaulich das Leben der damaligen, gut situierten, englischen Gesellschaft lebendig werden. Auch dort geht es um Gelingen und Scheitern von Beziehungen, ein zu jeder Zeit bewegendes Thema.

Fazit

Dieser empfehlenswerte Roman aus dem Jahr 1954 ist ein großes Lesevergnügen. Wie erfreulich, dass nun die deutsche Erstübersetzung vorliegt.

Die Nachbarin

Elizabeth Jenkins, Insel

Die Nachbarin

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