Ein Coming-of-Age der leisen Töne.
Tonio Schachinger machte bereits mit seinem Debüt „Nicht wie ihr“ auf sich aufmerksam. Jetzt hat der 1992 geborene Österreicher mit „Echtzeitalter“ einen Coming-of-Age-Roman verfasst, der zwar mit dem Deutschen Buchpreis 2023 ausgezeichnet wurde, aber dennoch nicht ungeteiltes Lob in der Leserschaft auslösen dürfte.
Schule und E-Sport
Tim besucht das Marianum, ein elitäres Privatgymnasium in Wien. Der ruhige Junge fällt kaum auf, weder seinem strengen Klassenvorstand Dolinar durch unangebrachtes Verhalten, noch irgendeinem Lehrer durch herausragende Noten. Tim nimmt die Schule nur als notwendiges Übel hin, was ihn wirklich interessiert sind Computerspiele. Vor allem „Age of Empire 2“ fesselt ihn und er bringt es zu einer gewissen Berühmtheit in der E-Sport-Szene. Doch das bleibt seiner Familie und den Lehrern unbekannt. Im Laufe seiner Schulzeit muss Tim sich nicht nur dem veraltetem und snobistischen Umfeld stellen, sondern auch dem Tod des Vaters und den Herausforderungen der Pubertät und der ersten Liebe. Aber sein wirklicher Lebensinhalt ist und bleibt der E-Sport. Doch reicht das, um im Leben zu bestehen?
Nicht viel los im Geschehen
Tonio Schachinger beginnt seinen Roman mit dem Eintritt Tims ins Marianum. Das Spannungsfeld zwischen Schule und Freizeit macht die Geschichte gleich interessant. Der Unterschied zwischen dem snobistisch-altmodischen Verhalten der schulischen Autoritäten und dem unbemerkten exzessiven Computerspielen zu Hause versprechen eine spannende Geschichte. Doch Schachinger verharrt in eben diesem Spannungsfeld und lässt kaum anderes zu, das die Handlung voran treibt. Schon zu Beginn stirbt Tims Vater, zu dem er ein eher gespaltenes Verhältnis hatte. Und dann passiert lange nichts. Immer wieder pendelt Schachinger zwischen dem Diktat des tyrannischen Klassenvorstands Dolinar und der Vorliebe Tims für AOE 2. Erst als Tim die Mädchen entdeckt, kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Doch Ereignisse, die tragend für die Geschichte sind, kommen nur tröpfchenweise. Das macht den so interessant begonnenen Roman zäh und fast schon zur Herausforderung, was durch den komplexen Stil mit teilweise endlosen Sätzen nicht besser wird. Hier hätten nur die Charaktere noch etwas retten können.
Pauschale Figuren ohne Entwicklung
Obwohl wir Tim über Jahre hinweg begleiten, scheint er kaum eine Entwicklung durchzumachen. Geduldig bringt er die Schule mit allen ihren Herausforderungen hinter sich, um dann seiner eigentlichen Neigung nachzugehen. Selbst als er erwachsen wird, verharrt er in diesen beiden Seiten seines Seins. Diese Pauschalität in der Figurenzeichnung zieht sich durch den ganzen Roman. Die Lehrer sind entweder Versager oder strenge Autoritäten, die schalten und walten, wie es ihnen gefällt; die Mutter ist eine etwas realitätsferne Frau, die unfähig oder unwillig ist, ihren Sohn wahrzunehmen und diese Mädchen, die dann doch noch den Computerspielen ein wenig Konkurrenz machen, sind das aufmüpfige Gegenstück zum in der Realität angepassten und unauffälligen Tim – eine unspezifischere Figurenzeichnung ist kaum möglich. Zumindest stimmt Tim nicht in den Chor der Ehemaligen ein, die, sobald sie die Tortur im Marianum hinter sich haben, die Schulzeit relativieren und sogar glorifizieren.
Manchmal spitzt Humor durch
Schachingers Stil ist nicht ganz unproblematisch. Die bereits erwähnten verschachtelten Sätze, die sich locker über etliche Zeilen hinziehen können, verlangen Aufmerksamkeit. Dazu kommen eingestreute österreichische Idiome, die auch erst verstanden werden müssen. Und Computerspiele sollte man möglichst auch nicht ganz ablehnen, denn sie spielen eine enorme Rolle und werden natürlich mit allen ihren Herausforderungen erwähnt. Was da als ein kleiner Lichtblick erscheint, ist der immer wieder unterschwellig aufblitzende Humor. Wenn die Mutter sich freut, dass Tim ein Sachbuch zur Architektur erfragt und hofft sein Interesse für dieses Thema zu wecken, Tim es aber nur als Unterlage für seinen Laptop im Bett braucht, kann man sich ein Schmunzeln schon nicht verkneifen. Dennoch ist die Lektüre eine eher nüchterne Angelegenheit, die „Echtzeitalter“ nicht unbedingt zu einem Buch für kurze Leseintervalle macht.
Fazit
„Echtzeitalter“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der spalten dürfte. Für die einen preiswürdige Gegenwartsliteratur, für die anderen, wie mich, zu pauschal, monoton und ohne große Entwicklung. Hier hilft nur: Selber lesen und sehen, zu welcher Gruppe man gehört.
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