Der Sommer, in dem Einstein verschwand

  • Insel
  • Erschienen: März 2020
  • 0

- OT: Den stora utställningen

- aus dem Schwedischen von Regine Elsässer

- HC, 371 Seiten

Der Sommer, in dem Einstein verschwand
Der Sommer, in dem Einstein verschwand
Wertung wird geladen
Carola Krauße-Reim
551001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2020

Eine bunte Mischung aus Realität und Fiktion

Die Schwedin Marie Hermanson vermischt reale Personen und Begebenheiten mit fiktiven. Heraus kommt ein Roman über Albert Einstein, der zu seiner Nobelpreis-Vorlesung reisen muss, einer jungen Dame, die davon träumt, eine Neue Frau zu sein, dem Wachtmeister Nils, dem Bösewicht Weyland und Otto mit seinem Esel Bella.

Göteborg befindet sich 1923 im Aufbruch

Im Sommer 1923 feiert Göteborg das 300jährige Gründungsjubiläum. Die bislang als etwas rückständig angesehene Stadt will ihren Ruf mit einer Ausstellung über die technischen Errungenschaften der Zeit aufpolieren. Und die gibt es wahrlich zu Hauf: Von Flugmaschinen über Kugellager bis hin zu Spülmaschinen ist alles zu bewundern, was irgendwie in diesen Rahmen passt. Die Atmosphäre des Aufbruchs in ein Zeitalter des Fortschritts hat die Autorin wirklich gut beschrieben. Man kann sich hinein versetzen in die Menschen, die bisher das Meiste mit körperlicher Kraft bewältigt haben und jetzt zum einen staunend vor den Maschinen stehen, zum anderen aber auch ihr ganzes Leben neu ausrichten müssen: Es gibt völlig neue Berufe, neue Produktionsmöglichkeiten und eben auch die Neue Frau!

Auch die fiktiven Personen sind gut getroffen

Bisher war Hausfrau und Mutter sein eine Vollzeitbeschäftigung - doch nun wollen sie mehr! So auch die 19jährige Ellen: Sie will Journalistin werden, ihr eigenes Geld verdienen, unabhängig sein und abends als Flapper das Leben genießen. Hermanson beschreibt eine junge Frau, die den Absprung schafft und sich in einer von Männern dominierten Welt zurechtfindet, sehr gut. Ellen schreibt für die Zeitung der Ausstellung und berichtet täglich von kleinen Tragödien und Vorkommnissen auf dem Festgelände. Die großen Themen bleiben ihren männlichen Kollegen vorbehalten. Doch sie trifft auf Wachtmeister Nils Gunnarsson, der von ihr beeindruckt ist und mit ihr in das Rätsel um Albert Einstein und sein zweitägiges Verschwinden verstrickt wird. Genauso wie Otto, der mit seinem eigenwilligen Esel Bella zwar eine Nebenrolle im Geschehen spielt, aber sowohl als Kind, als auch als alter Mann im Jahr 2002 gut charakterisiert ist.

Albert, der Schwerenöter, braucht Geld

Albert Einstein dagegen war eine sehr reale und bis heute bekannte Persönlichkeit. Mit seiner Relativitätstheorie spaltete er nicht nur die Gemeinde der Wissenschaftler, sondern als Jude auch die ganze Gesellschaft. Im aufkommenden Nationalsozialismus wurde seine Forschung, gerade in Deutschland, teilweise als Affront angesehen. Aber seine bahnbrechende Theorie wurde auch von vielen Forschern als Unfug abgetan, was dazu führte, dass er den Nobelpreis zwar verliehen bekam, aber für den Photoeffekt und nicht für die Relativitätstheorie. Um über das Preisgeld verfügen zu können, muss jeder Nobelpreisträger eine Vorlesung halten - Einsteins stand 1923 an der Universität in Göteborg an. Tatsache ist, dass er sie zwei Tage verspätet hielt. Daraus macht Hermanson eine Art Kriminalgeschichte, in die sie auch noch den realen Hochstapler Weyland einbindet und den Erpresser des schwedischen Königshauses Johansson-Hamilton. Einstein ist dabei nicht nur der brillante Physiker, sondern vor allem ein Womanizer, der einer hübschen Frau nicht abgeneigt ist. Immer als großartiger Physiker beschrieben, ist von ihm weniger bekannt, dass er zweimal verheiratet war und mehrere Geliebte hatte. Diese persönliche Seite des Genies steht im Roman im Mittelpunkt und wird mit dem Preisgeld verknüpft, das Einstein seiner ersten Frau und seinen Kindern versprochen hatte.

Nicht alles passt zusammen

Marie Hermanson hat ein flüssig geschriebenes und leidlich interessantes Buch verfasst. Doch was soll es sein? Ein Krimi? Ein gesellschaftskritischer Roman, indem eine junge Frau ihren Weg geht? Eine Dokumentation wohl kaum, aber den Anspruch hatte Hermanson auch nie. Es ist also ein Konglomerat aus allem heraus gekommen, das streckenweise etwas langatmig daherkommt und dessen Titel irreführend ist. Denn Einstein hat seine Vorlesung in Göteborg lediglich zwei Tage verspätet gehalten – aus welchen Gründen auch immer. Diese zwei Tage füllt Hermanson zwar durchaus spannend, aber dafür gleich den ganzen Sommer im Titel zu bemühen ist täuschend. Auch das Titelbild passt nicht zur Geschichte: Mädchen mit Shorts und Turnschuhen? 1923? Wohl kaum. Mit dem Vorhaben, mehrere historisch belegte Persönlichkeiten verbunden mit tatsächlichen Vorkommnissen und ergänzt durch fiktive Charaktere in einer Geschichte unterzubringen, hat sich die Autorin wohl etwas übernommen. Manchmal erscheint das Geschehen sehr aufgezählt und wenig vertieft, der Kriminalfall ist zu oberflächlich und hätte mehr heraus gearbeitet werden sollen, und so manche Begebenheit ist passend gemacht worden, aber wenig wahrscheinlich.

Fazit

Der Sommer, in dem Einstein verschwand ist ein wenig anspruchsvolles, teilweise humorvolles Buch, das am ehesten als kriminalistischer Historyroman mit gesellschaftskritischem Hintergrund zu bezeichnen ist. Dass ausgerechnet der große Albert Einstein als Protagonist herhalten muss, macht ihn interessant und zeigt dazu noch eine sehr menschliche Seite des Physikgenies. Aber mehr als durchschnittlich wird der Roman dadurch nicht.

Der Sommer, in dem Einstein verschwand

Marie Hermanson, Insel

Der Sommer, in dem Einstein verschwand

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Der Sommer, in dem Einstein verschwand«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Film & Kino:
The Crown - Staffel 3

Die Queen in ihrer vordergründig repräsentativen Rolle ist eine zeitgeschichtliche Ikone, sodass der Erfolg der seit 2016 bei Netflix laufenden Serie „The Crown“ nicht verwundert. Die dritte Staffel markiert allerdings einen Umbruch: Die Royal Family ist in den 60er-Jahren angekommen und viele Rollen werden neu besetzt, da auch die Blaublüter nicht vor dem Altern gefeit sind. Titel-Motiv: © Des Willie / Netflix

zur Film-Kritik