Kriegsbraut

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2011
  • 0
  • Berlin: Rowohlt, 2011, Seiten: 332, Originalsprache
Kriegsbraut
Kriegsbraut
Wertung wird geladen
Britta Höhne
871001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2011

Gefährliche Liebschaft fällt aus, was in Anbetracht der Schwere der Thematik verzeihbar ist

Die Geschichte ist eigentlich schnell erzählt. Eigentlich. Was in leichter Sprache beginnt, überschaubar und schön, erweist sich als schwieriger, vorsichtiger Versuch, das zu fassen, was doch unfassbar erscheint: Die Liebe der deutschen Soldatin Judith Dieffenbach zu dem afghanischen Lehrer Mehsud.

Kriegsbraut nennt Dirk Kurbjuweit, Schriftsteller und Spiegel-Redakteur, seinen Roman. Belegt ihn negativ und lässt schon im Titel auf nichts Gutes hoffen. Denn: Eben das will Judith nicht sein, eine Frau, Soldatin dazu, die als Verräterin gilt, als "Kriegshure", Talibanliebchen", "Terrorbraut".

Die Geschichte beginnt im Kriegssommer 2006 in Afghanistan. Judith, eine junge Frau aus der ehemaligen DDR, sucht Halt. Einen Boden, eine Substanz, die ihr Kraft gibt. Zwei für sie wichtige Freundschaften scheitern, worauf hin die studierte Informatikerin beschließt, Soldatin zu werden, um schlussendlich nach Afghanistan zu gehen.

Geflüchtet vor ihren amourösen Ausflügen mit einem verheirateten Mann, zieht sie in den Krieg, der Anfänglich aus purer Langeweile besteht. Frühstücken, Mittagessen, Abendessen, warten. Dazwischen Frauengespräche mit Maxi und Ina und eine Nacht mit einem amerikanischen Soldaten, der die Bundeswehr für die Wehrmacht hält. Die Tristesse nagt an Judiths Nerven, die, wie Autor Kurbjuweit mehrfach mitteilt, keine Jüdin ist. Schließlich springt sie ein, übernimmt die Patrouillenfahrten zu einem fernab gelegenen Bergort, um eine Schule zu besuchen. Kontrollieren soll sie dort, ob Mädchen am Unterricht teilnehmen.

Judith lernt Mehsud kennen. Schulleiter, Lehrer, sehr ruhig, introvertiert mit trauriger Geschichte. Flüchten wollten er, seine Frau und die gemeinsame Tochter. Weg aus der Gefahrenzone Nahe der pakistanischen Grenze gelegen. Mehsud erreicht das rettende Lager, seine Frau und die Tochter sind seit neun Jahren verschwunden. Judith verliebt sich in den schönen, stolzen Mann, in seine Ausstrahlung, in seine Vorsicht, die ihm lediglich erlaubt, ein paar zärtlichen Küssen auszutauschen.

Was die junge Deutsche, die ihre Kindheit auf Rügen erlebte, nicht weiß ist, dass Mehsud längst wieder leiert ist, mit einer Frau die Burka trägt, "weil es hier Sitte ist", verteidigt sich Mehsud. Unverständlich für Judith, die in dem jungen Lehrer einen modernen Menschen sieht, einen, der weder Tradition noch Sitte die Ehre erweist. Nichts auf die uniforme Burka gibt, was aus Judiths Sicht vermessen scheint, weiß sie die Vorteile einer Uniform doch zu schätzen. Sie steht nie vor der Entscheidung, "was ziehe ich heute an".

Dirk Kurbjuweit hat etwas Mutiges und bislang Einzigartiges versucht: Haucht er seine Stimme doch einer jungen, deutschen Soldatin ein, die in einen Krieg zieht, der seit Beginn für Debatten sorgt und mehr Verlierer als Sieger zu Tage fördert. Dem zweifachen Egon-Erwin-Kisch-Preisträger gelingt eine Momentaufnahme, die präziser kaum sein könnte. Und über die Sprache des Dirk Kurbjuweit braucht es an dieser Stelle eh keine Worte: Sie ist fein, ausgewählt und trotz der Thematik oft verspielt. Dann etwa, wenn drei Soldatinnen die Fantasiegeschichte einer afghanischen Frau namens Fatima zusammen spinnen. Dann, wenn ein Militärfahrzeug namens "Wolf" in einer Ziegenherde fest steckt. Auch Thilos - Judiths verheirateter Exfreund - Ausflüge in die filmische Welt der Leni Riefenstahl, oder der Austausch der Soldatinnen, ob es "Nazinin", "Nazene" oder gar "Nazöse" heißen könnte.

Die komischen Ausflüge hauchen der Geschichte Realität ein. Und real könnte sie zweifelsohne sein. Kurbjuweit hat genau recherchiert, war selbst mehrfach in Afghanistan und hat im Zuge seiner Recherchen auch mit Soldatinnen gesprochen. Dabei interessierte ihn unter anderem der Alltag des Lagerlebens – besonders der der Frauen – die, obwohl schon seit zehn Jahren an der Front, noch immer einen schweren Stand bei ihren männlichen Kollegen haben. Als Sexobjekte gelten, nicht ernst genommen werden, da sie physisch den Männern unterlegen sind. Auch außerhalb des Lagers wird Missmut über die Frauen laut, die eines der letzten Domänen der Männerwelt geknackt haben: Die Bundeswehr. Warum ziehen junge, kluge Frauen in den Krieg? Judith zumindest lässt die Antwort offen. Der ganze Wahnsinn des Krieges wird schließlich real, als Judith in einen Hinterhalt gerät und selbst zur Waffe greift.

Kriegsbraut ist ein lesenswerter Roman, obwohl der Einstieg mit all seiner Wucht mehr verspricht, als er letztendlich hält. Die gefährliche Liebschaft zwischen Judith und Mehsud fällt aus, was in Anbetracht der Schwere der Thematik verzeihbar ist. Dirk Kurbjuweit verzichtet sowohl auf eine politische als auch auf eine religiöse Debatte. Viel mehr zeigt er den Alltag derer auf, die freiwillig erklärt haben, zu den Waffen zu greifen. Dabei ist der Fall Judith Dieffenbach ein ganz besonderer. An ihr zeigt Kurbjuweit nicht nur die gespaltene Persönlichkeit einer jungen Frau auf, sondern auch die von Konfrontation geprägten Geschlechterkämpfe innerhalb des Militärs und die absurden, gar tragikomischen Gedankengänge derer, die sich im Ausnahmezustand des Krieges befinden.

Kriegsbraut

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Kriegsbraut«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Film & Kino:
The Crown - Staffel 3

Die Queen in ihrer vordergründig repräsentativen Rolle ist eine zeitgeschichtliche Ikone, sodass der Erfolg der seit 2016 bei Netflix laufenden Serie „The Crown“ nicht verwundert. Die dritte Staffel markiert allerdings einen Umbruch: Die Royal Family ist in den 60er-Jahren angekommen und viele Rollen werden neu besetzt, da auch die Blaublüter nicht vor dem Altern gefeit sind. Titel-Motiv: © Des Willie / Netflix

zur Film-Kritik