Tyll

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Sebastian Riemann
901001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2017

Bester Schabernack

Er hat diese Gabe. Er kann die Leute zum Lachen, Weinen und Nachdenken bringen. Unglaubliches und Ungewöhnliches zeigt er, erzählt wundersame Geschichten, die staunen lassen und auch verwirren, so dass man am Ende nicht mehr ganz sicher ist, worum es eigentlich geht, ob alles so zusammenpasst und Sinn macht, wie er es erzählt, oder ob er nicht doch einem Zauberer gleich sein Publikum an der Nase herumführt, die Aufmerksamkeit erst hierhin und dann dorthin lenkt, während der magische Trick im Hintergrund stattfindet und niemand es bemerkt. Am Ende jedenfalls sind alle ganz aus dem Häuschen, begeistert und aufgewühlt. Sie sind froh, dass sie es miterlebt haben und später jemandem davon erzählen können. So gute Unterhaltung haben sie schon lange nicht mehr gesehen, so ein Spektakel, bei dem der Mund offen steht und die Hände hin und wieder die Augen reiben müssen.

Die Rede ist vom begnadeten Erzähler Daniel Kehlmann und seinem Tyll. Zwei Fabulierer mit Hang zum Verwirrspiel.

Tyll Ulenspiegel zieht als Gaukler durchs Land und bringt den Leuten ungewohnten Spaß. Wo er auftaucht, begeistern sich die Menschen, lassen alles stehen und liegen, um ihm entgegenzueilen. Sie wollen den berühmten Spaßmacher treffen, wollen seine Kunststücke sehen und seine Geschichten hören. Wollen sich von ihm verzaubern lassen. Dafür vernachlässigen sie die Arbeit, die sonst ihren tristen Alltag bestimmt. Der Tyll ist jemand, der über den Dingen steht und die gewöhnlichen Dinge in den Schatten stellt. Also nutzt man die Möglichkeit, den Tyll mit eigenen Augen zu sehen. So ein Glück hat man nur einmal im Leben.

Das Leben ist hart und selten passiert etwas, worüber man lachen kann. Viele leiden am beständigen Hunger und haben Angst vor der Pest. Die Armut ist allgegenwärtig. Hinzu kommen die Kriegswirren, die nicht enden wollen und die niemand zu durchschauen vermag, und die religiösen Verfolgungen. Überall lauern Gefahren, Krankheit und Tod. Jeden Tag kann man sterben, ohne sich wissentlich der Gefahr auszusetzen. An Unterhaltung ist unter solchen Umständen eigentlich nicht zu denken. Die meisten Menschen sind mit dem Überleben beschäftigt. Sie versuchen nicht krank zu werden, nicht von plündernden Soldaten getötet zu werden. Sie versuchen satt zu werden.

In solch düsteres Dasein bringt der Tyll ein unvergleichliches Vergnügen. Er tanzt auf dem Seil und jongliert mit bunten Bällen, spielt mit seinen Kumpanen Theater und macht Witze. Von den Ereignissen des dreißigjährigen Krieges erzählt er den unwissenden Dorfbewohnern. Sie staunen und lachen, vergessen für eine kurze Zeit ihre Sorgen.

Daniel Kehlmann hat in seinem Tyll gleich zwei historische Stoffe aufgegriffen. Zum einen die Figur des Till Eulenspiegel, zum anderen die Geschehnisse des dreißigjährigen Krieges. Beides vermischt er, bringt es zusammen und macht daraus eine höchst unterhaltsame, verwirrende und interessante Geschichte. Der Zerstörung der deutschen Gebiete stellt er ein absurdes Theater zur Seite. Es wird gelitten und gelacht. Getötet und verziehen. Der Tyll ist den Leuten ein Lichtblick, eine große Freude im sonst unerträglichen Leben. Er nimmt die Dinge nicht ernst, macht sich über jedermann lustig, obwohl doch alles so ernst, so todernst ist. Dem Tod lacht er direkt ins Gesicht.

Großartige Unterhaltung bietet Kehlmann mit seinem neuen Roman. Er vermag wieder einmal vor einer historischen Kulisse seine Erzählkunst zur Entfaltung zu bringen und den Leser in seinen Bann zu schlagen. In dieser Hinsicht können sich nur sehr wenige mit ihm messen. Seine Figuren sind überaus lebendig und vielfältig, bewegen sich grazil durch die Geschichte und schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Die Mehrstimmigkeit ergänzt sich meisterlich zu einem großen Konzert, bietet Abwechslung und Dynamik, so dass es zu keinem Zeitpunkt langweilig werden kann.

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