Irma

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2015
  • 0
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2015, Seiten: 240, Originalsprache
Irma
Irma
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Sebastian Riemann
731001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2015

Ungewöhnliches Erinnern, komisch und chaotisch

Und was hast du die letzten Jahrzehnte gemacht? Hast du etwas mit deinem Leben angefangen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, oder vergeudest du immer noch deine Zeit? Derart könnten die Fragen sein, die Irma stellen wird. Die Irma, die vor Langem aus Tex´ Leben verschwunden ist, und sich nun per Facebook wieder bei ihm meldet. Eine Überraschung für jemanden wie Tex, weil Tex sich eigentlich nicht überraschen lässt, aus der Ruhe bringen schon gar nicht. Aber dann kommt er doch ins Grübeln, ins Träumen und mitunter ins Schwadronieren. Was soll er Irma erzählen, von sich und seinem Leben?

Zur Beantwortung dieser Frage muss der Autor naturgemäß erst einmal die gemeinsame Zeit wieder aufleben lassen, muss sich und den Lesern vor Augen führen, wer Irma war und wer er selbst war, zu dem Zeitpunkt, da er Irma kennenlernte und eine kleine Wohnung mit ihr teilte, wenn auch nur für kurze Zeit. Irma lernte Koreanisch und lutschte an Batterien, sie sah auch gerne fern. Viel mehr gibt es kaum zu ihr zu sagen, viel mehr hat auch Tex nicht zu sagen, er kannte sie ja kaum. Es war eine kurze Episode in seinem Leben, eine merkwürdige will man sagen, aber dann folgt der Rest des Buches und die Geschichte mit Irma erscheint nicht mehr so merkwürdig.

Tex erinnert sich an die damalige Zeit und an andere Zeiten, er nimmt Irma als Vorwand sein Leben zu überschauen, Episoden herauszupicken und sie sich und dem Leser darzubieten. Keine Biographie, eher eine Ansammlung von Ausschnitten aus einem wilden Leben, dabei geht es um Sex, Alkohol, guten Musikgeschmack und auch immer um die Frage: Wer bin ich, was schreibe ich? Das Buch ist Rückblick, Identitätssuche und in erster Linie Unterhaltung. Es ist wirr und chaotisch, mit dem Anspruch das Leben wiederzugeben, und dass gelingt ihm auch gut. Denn Rubinowitz zwängt seinen Text in keinerlei Korsett, ebenso wenig die Erinnerungen seines Erzählers. Ein Roadmovie, mit allerhand Reisen und unkonventionellen Lebensentwürfen, kaputten Gestalten, Frauengeschichten und stillen Trennungen.

Und der Klagenfurter Bachmannpreis 2014 geht an... Tex Rubinowitz.

Eine große Überraschung war die Preisvergabe vor einem Jahr, als die renommierte Auszeichnung für deutsche Literatur an den als Cartoonisten bekannten Rubinowitz ging, einen Außenseiter, dem zuvor wohl niemand Chancen auf den Gewinn zugestanden hätte. Sein humorvoller, unverblümter Stil überzeugte damals die Jury, ebenso der Charakter der Irma, der sich in das Leben des Autors drängt über jene Facebook Anfrage. Gut ein Jahr später erschien nun der Roman, der aus dem damals vorgetragenen Text entstanden war. Irma folgt dem Versprechen zu unterhalten und auch zu amüsieren, liefert aber noch mehr, in Form von psychologisch-literarischen Gesprächen, die den Text und das Erzählen thematisieren, ohne dabei in eine allzu ernste Haltung zu verfallen. Denn Spaß muss sein.

Eine Absage an das Format Roman. Rubinowitz´ freudsche Punk-Collage will nicht die allgemeinen Ansprüche bedienen, die im Literaturbetrieb vorherrschen, will sich nicht in die großen Traditionen einreihen, sondern vielmehr originell und neu erzählen. Erfrischend und verwirrend ist dies für den Leser, der zu keinem Moment mit klassischen Beschreibungen aufgehalten wird, sich aber manchmal an dem selbstverliebten Lebensstil stoßen kann. Lebendig und unkompliziert ist die Welt des Buches, manch einer mag Tiefgang und Ernsthaftigkeit vermissen, jedoch nur wenn er nicht genau hinschaut, denn auch Schweres hat dieses kurze Buch zu bieten, zwischen den Linien, zwischen den Witzen und coolen Sprüchen.

Irma gefällt, wenn man sich einlässt. Keine Geschichte für jedermann, dafür ist sie zu eigenwillig – sprachlich und inhaltlich -, aber für alle Interessierten eine ernst zu nehmende Alternative zum Roman-Alltag. Und am Ende doch nicht so punkig.

 

Ich mag es nicht, wenn sie im Wohn/Schlafzimmer raucht, wir rauchen eigentlich nur in der Küche, also ich selten, eher nie, sie dauernd. Einmal meinte sie zu mir: "Du rauchst wie ein Nichtraucher denkt, dass ein Raucher raucht." Ich weiß auch nicht, warum wir in der Küche rauchen, vielleicht weil in der Küche weniger Stoff ist, in dem der Rauch hängen bleiben kann, komisch, dass Rauch nicht in Essen hängen bleibt, gar nicht so komisch eigentlich...

 

Irma

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