Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt.

  • Insel
  • Erschienen: Januar 2013
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  • Berlin: Insel, 2013, Seiten: 401, Übersetzt: Kurt Kreiler, Originalsprache, Bemerkung: deutsch und englisch
Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt.
Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt.
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Claire Schmartz
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Belletristik-Couch Rezension vonJul 2014

Shakespeares Schatten

Am 26. April wurde William Shakespeares 450. Geburtstag gefeiert – von jenen, die dem Taufregister Stratfort-upon-Avons vertrauen. Das tat Kurt Kreiler, wie viele andere Skeptiker, nicht. Er zweifelt an, dass die Person Shakespeare jene war, als die wir sie heute kennen und stellt diese Figur als Pseudonym eines anderen Dichters hin: Edward De Vere, der jahrhundertelang im Dunkeln blieb und dessen Namen weitaus unbekannter ist als der des heute als berühmtesten Dichter und Dramatiker der Welt angesehenen Shakespeares.

De Veres Gedichte, Lamentationen und Lieder handeln vom Werben und dem Schmerzen des süßen Verlierens – von Leidenschaften und dem Zügeln derselben, von Sehnsucht, Widerwillen, Zurückweisung – von Liebe. Sein poetisches Werk verursachte Widerwillen und erregte Anstoß bei der höfischen Gesellschaft. De Vere verschwand von der Bildfläche – und für die nächsten Jahrhunderte aus den Augen der Literaturwelt. Kurt Kreiler stellt sich mit der Herausgabe des Gedichtbandes Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt eine große Aufgabe. Er will die Debatte um die Urheberschaft der shakespeareschen Werke auch im deutschen Sprachraum (neu) anfachen.

Kreiler, promovierter Germanist, veröffentlichte bereits 2011 Der Mann, der Shakespeare erfand, ebenfalls erschienen im Insel Verlag. Auch hier vertrat er die These, dass der Mann hinter der Figur "Shakespeare" eigentlich der englische Adelige Edward de Vere, Earl von Oxford, sei. Edward de Vere lebte im 16. Jahrhundert am Hofe Elisabeths I. Seit dem 19. Jahrhundert steht er, John Thomas Looney zufolge, im Zentrum aller Mutmaßungen über die Urheberschaft der shakespeareschen Werke. Nach Francis Bacon oder Christopher Marlowe wird De Vere zur dritten Hexe, frei nach Macbeth. Diese Diskussion wird außerhalb der institutionalisierten Shakespeare-Forschung geführt, aber von zahlreichen namhaften Personen unterstützt. Allerdings fundierten sich diese Vermutungen nie auf eindeutige dokumentarische Belege oder Beweise. Die thematische Kongruenz, Übereinstimmungen zwischen Werkinhalten und Lebenslauf sowie die zahllosen Pseudonyme De Veres reichten bisher für Theorien aus. (Von Anfang an verbirgt De Vere seinen Namen hinter verschiedenen Pseudonymen: Phaeton, Fortunatus Infoelix, My lucke is losse,...) Zudem bleibt zu beachten, dass es zwischen den Lebensdaten Shakespeares und De Veres einen beachtlichen Unterschied gibt.

Mit dem vorliegenden Gedichtband bietet Kreiler nun erstmals die Grundlage für konkretere Belege und spricht somit nicht nur die Leserschaft, sondern auch Wissenschaftler und Historiker an. Bisher kannte man nicht mehr als 20 Gedichte von De Vere, die in Lyriksammlungen des 16. Jahrhunderts erschienen waren. Mit dieser neuen Publikation werden 100 weitere Gedichte präsentiert. Kreiler kommentiert die Ausgabe mit der Findungsgeschichte der Gedichte und einem historischen Rückblick auf das elisabethanische Zeitalter. Die Herausgabe und Zusammenstellung der Gedichte an sich ist ein großartiges Anliegen, da sie Liebesdichtung einer vergangenen Epoche sammelt und in den passenden historischen Kontext setzt. Dennoch überschattet die Fadenscheinigkeit der Urheberschaftsdebatte die Gedichte.

Mit dieser zweisprachigen Ausgabe könnte die Grundlage für weiterführende Forschung der Urheberschaftsdebatte geschaffen sein. Doch ist ein Anfachen dieser fruchtlos bleibenden Auseinandersetzung nicht ein Tropfen Wasser auf den heißem Stein? Die Gedichte lesen sich leicht, doch scheinen sie zu großen Teilen am shakespeareschen Tiefgang zu mangeln. Auch die Übersetzungen sind grob und ausschweifend angefertigt, so dass die sprachlichen Feinheiten des englischen Originals oftmals auf der Strecke bleiben. Des Weiteren findet sich kein einziges Sonett unter den 100 Gedichten, was angesichts der Parallelisierung De Veres und Shakespeares zu erwarten gewesen wäre. Interessant zu lesen ist der Gedichtband auf jeden Fall. Die Verse De Veres sind klar und schön, aber oftmals zu direkt und unverhüllt, was – die Vergleiche mit Shakespeare liegen so nahe, werden heraufbeschworen! – nichts mit dem shakespeareschen Wortwitz gemeinsam hat. So erscheint die Wahrscheinlichkeit der propagierten These, dass De Vere der eigentliche Shakespeare sei, sehr weit hergeholt und überschattet die Inhalte der Gedichte, so dass der Leser das Buch nur mit einem skeptischen Stirnrunzeln öffnen kann. Schade, dass die Gedichte durch diesen Band so fest mit Shakespeare vernetzt werden, dass der eigentlich "zarte Faden" ihnen fast die Luft abschnürt.

Die Rahmengebung erscheint spannend, macht auf die mangelnden biografischen Kenntnisse über Shakespeares Leben aufmerksam und bleibt dennoch eine Verschwörungstheorie, die De Vere wieder dahin zurückstellt, wo er eben schon Jahrhundertelang war: In den Schatten Shakespeares.

Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt.

Edward de Vere, Insel

Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt.

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