April

  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014, Seiten: 224, Originalsprache
April
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Claire Schmartz
201001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

April, April

Angelika Klüssendorf, geboren 1958, lebt in Beeskow und ist Autorin von mehreren Romanen und einem Theaterstück. Sie veröffentlichte 2011 ihren Roman Das Mädchen und landete damit unter den letzten sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreis. Mit April hat sie eine Fortsetzung geschrieben, doch der Anschluss an den Erfolg des Vorgängerromans gelingt nicht ganz so nahtlos.

April heißt die Protagonistin – sie hat sich nach dem Lied von Deep Purple benannt – lebt im Leipzig der 70er und 80er Jahre. Sie ist zu Anfang des Romans gerade 18 Jahre alt geworden und hat das Heim, in dem sie groß geworden ist, verlassen. Die Jugendhilfe weist ihr ein Zimmer bei Fräulein Jungnickel zu und beschafft ihr eine Stelle als Bürohilfskraft. Doch damit ist noch längst nicht alles in Ordnung. April leidet noch immer unter ihren traumatischen Kindheitserinnerungen, der emotionellen Verbindung zu ihrer sadistischen Mutter und ihrem trinkenden Vater. Sie schafft es nicht, mit sich selber oder ihrer Umgebung ins Reine zu kommen, sie bleibt stark untergewichtig und isoliert. April ist eine unfreiwillige Rebellin in der DDR, trinkt, klaut, trägt West-Klamotten. Sie stolpert blind von einem Fehler zum nächsten und verliert sich selber vollends. Sie verursacht einen nahezu fatalen Brand, versucht sich selbst umzubringen und hat zahlreiche Liebschaften, die alle eins gemeinsam haben: Sie sind unbefriedigend. Und manchmal scheinen die Männer fast noch realitätsloser als April selber. So gleitet April weiter, wie ein Geist, bleibt unfassbar. Sie schreibt Gedichte, doch worüber oder wieso und für wen bleibt unklar. Nur, dass sie Erfolg haben könnte.

Distanziert, emotionslos und kalt erscheint die Sprache, mit der Klüssendorf von der psychisch kranken und verstörten Protagonistin erzählt. Diese trifft auf ihren Streifzügen durch die Stadt auf die verschiedensten Arten von Menschen, aber vor allem auf politisierende Künstler, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler. Sie entfernt sich nach und nach von ihren Jugendfreunden Schwarze Paul und Mücke, lernt Sven kennen, der im Gefängnis war und seitenweise Gedichte verfasste, oder Silvester, den späteren Theologiestudenten. Auf der Suche nach einem Anschluss an die Gesellschaft gerät April nahezu unfreiwillig und unbeabsichtigt – nicht aus politischer Motivation! – an die Untergrundmappe namens "Anschlag", in der sie systemkritische Kunst sammelt und veröffentlicht.

Sie trinkt, betrügt ihren Ehemann, vernachlässigt ihr Kind – und April sprüht Graffiti und April spielt verrückt und April landet im Irrenhaus und April wird festgenommen. Dann schaffen sie und ihr Mann es, eine Ausreiseerlaubnis für sich und ihren Sohn zu erlangen. April träumt davon, Männer nicht mit ihrem Körper zu erobern, sondern mit Worten. Angelika Klüssendorf scheint es ähnlich zu gehen, denn mit den Worten will es nicht so richtig klappen. Der Roman erlebt viele Zeitsprünge, scheint wie die Hauptfigur durch die Gegend zu pendeln, bleibt an einzelnen Themen hängen und findet doch keinen Halt. Dabei vergisst man fast dass der jugendliche Mücke an einer Blutkrankheit stirbt, ein Mann namens Schlips Fräulein Jungnickel ihrer Ersparnisse beraubt, die Altenpflegerin Paula ihre Patientinnen missachtet und misshandelt oder David davon träumt, mit einer Leiter zur Mauer zu gehen und sich erschießen zu lassen. Erscheinen alle Menschen nur aufgrund des Blickes der Protagonistin todunglücklich und schief und kaputt, oder wird hier ein überaus düsteres Gesellschaftsbild entworfen?

Leere und Distanz, wie sie im Inneren Aprils herrschen, vermittelt Klüssendorf hervorragend mit ihrer nüchternen Sprache. Doch irgendetwas stimmt nicht, die Verbindung zum Inhalt kommt nicht auf. All zu losgelöst und gehäuft erscheinen die Sprünge zwischen den einzelnen fehlfunktionierenden Bereichen in Aprils Leben: ihrer Kindheit, ihren Affären und dem Scheitern am Menschlichen. April hat alles, was an Negativem und Beschwerlichem auch nur erdenklich ist und vielleicht erscheint der Roman deshalb gekünstelt und fremd. Dabei sind die einzelnen Figuren und Situationen an sich stark, doch sie werden von dieser Haltlosigkeit einfach davongeschwemmt. Die Frage ist nicht, was fehlt, damit der Roman komplett ist und den Leser berührt. Sondern eher, was man weglassen sollte um die Geschichte auf den Punkt zu bringen.

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