Rein Gold

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2013
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  • Hamburg: Rowohlt, 2013, Seiten: 224, Originalsprache
Rein Gold
Rein Gold
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Christine Ammann
901001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2013

Elfriede Jelinek trifft Richard Wagner

Es ist Wagner-Jahr. 1813, vor 200 Jahren, wurde der umstrittene Komponist Richard Wagner geboren. Und bereits im letzten Jahr standen die Münchner Opernfestspiele unter dem Motto "Rund um den Ring". Die österreichische Autorin und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat dafür Rein Gold geschrieben, einen überaus aktuellen "Bühnenessay", der in einer sechsstündigen "Urlesung" mit Schauspielern wie Birgit Minichmayr, Irm Hermann oder Josef Ostendorf im Münchner Prinzregententheater aufgeführt wurde. Und nun hat der Rowohlt Verlag die Urlesung zum Nachlesen herausgebracht: 220 dicht beschriebene Seiten Jelinek’scher Sprachmusik.

Wer Elfriede Jelinek ein wenig kennt, weiß, dass Wagner ihr Thema sein muss: Genie, Romantik, Heldentum und Frauenopfer. Das sind die Themen, an denen sich die Autorin immer wieder abgearbeitet hat – etwa schon in dem Roman Die Klavierspielerin (1983) oder dem Theaterstück Clara S. (1981). Im Übrigen hat Elfriede Jelinek Orgel und Komposition studiert.

Der Bühnenessay Rein Gold kreist allerdings vor allem um ein neueres Thema, das Jelinek mit "Die Kontrakte des Kaufmanns" als eine der Ersten für das zeitgenössische Theater behandelt hat: Geld, Kapitalismus und Krise.

 

W: "Das Geld, Auftritt Held: ein Dreck dagegen, das Gold, die Schuld, dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsren Augen, kein Ruhetag, wir spielen durch, das Kapital betritt jetzt den Markt, den Warenmarkt, den Arbeitsmarkt, den Geldmarkt, es betritt seinen Arbeitsplatz, den Rhein."

 

Elfriede Jelinek nimmt den bekannten Dialog zwischen Göttervater Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde aus dem 3. und letzten Akt der "Walküre" und verwandelt ihn in einen Metatext zur Krise. In Wagners Oper bestraft Wotan Brünnhilde für ihren Ungehorsam und schickt sie zum "Dornröschenschlaf" in einen Feuerring, aus dem nur ein heldenhafter Freier sie erwecken kann. Vor dieser Blaupause entfaltet Elfriede Jelinek ihren Kosmos – mit wild wuchernden Assoziationen, rasanten Wortspielen, unvermuteten Bildern, ein bisschen Vulgarität und einem Schuss untergründiger Komik und Sarkasmus.

Optimismus ist dabei keine Option:

 

W: "Alles wird bleiben, wie es ist. Das nennt man hier eine Revolution. Die es hatten, die werden es wieder bekommen. Immer dieselben."
Und die Frau bleibt ewig das Opfer, das zum Manne aufschaut:
B: "Was ich kann, ist nichts, nichts, nichts gegen das, was andre können, denen man allerdings erst mit Kastration drohen muß ... Du und die Knaben, ihr könnt alles, ...Also gib mir diesen Helden, gib ihn mir ... Versprich mir den Erlöser, Vater! ... Keiner erwartet, daß er auch wirklich kommt. Und er kommt ja auch wirklich nie."
Und der Nationalismus weiter eine Gefahr, die am Himmel dräut:
W: "Und einmal wird Deutschland sie abstreifen, die Furcht, die es als einziges kennt, die Furcht, die führt Deutschland hinter sich her wie ein Pferd, doch einmal wird es sich draufschwingen und auf alles andre pfeifen, und ab geht die Post."

 

Das sind allerdings nur die großen Themen, die die 1946 geborene Autorin in "Reingold" zu ihrem Gegenstand macht. Ihr Bühnenessay entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Streifzug durch die aktuelle Gemengelage: NSU-Morde, Christian Wulff in Großburgwedel, Harz IV, Plagiatsvorwürfe usw. usw. Und mit einem Handstreich erledigt sie auch gleich alle Illusionen über die neue Freiheit des Internets.

 

W: Das ist die Revolution: daß alle überall hin können, wie ein Gott, und dabei zu Hause bleiben oder im Cafénetz, im Netz-Café, weil jeder Mensch sein eigener Hotspot ist, jeder Mensch ist heiß, und er heißt auch irgendwie, und er selbst ist auch sein eigenes Portal, nur ist kein Mensch er selbst, ..."

 

In Rein Gold unternimmt Elfriede Jelinek einen rasanten Walkürenritt durch die Gegenwart. Ihr "Bühnenessay" ist wahrscheinlich kein Buch, das man in einem Rutsch lesen wird, eher ein Werk, das man bei passender Gelegenheit aufschlägt, um Jelineks Sprachkunst und die ihr eigentümliche "klammheimliche Freude" in Häppchen zu genießen: ihre überraschenden Assoziationsketten, die immer wieder einen Crash der Welten erzeugen, ihre verblüffende Bildgewalt und ihren abgründigen Wortwitz, der einem manchmal geradezu die Sprache verschlägt.

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