Frühstück im Majestic

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2012
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  • München: Hanser, 2012, Titel: 'Frühstück im Majestic', Seiten: 144, Übersetzt: Katharina Wolf-Grießhaber
Frühstück im Majestic
Frühstück im Majestic
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Romy Fölck
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Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Ein Potpourri an Erinnerungen

Wenn ältere Menschen in Erinnerungen schwelgen, wundert man sich oft über die vielen Details ihrer Erzählungen. Namen, Daten, Geschehnisse werden so gewissenhaft vorgelegt, als lägen sie nicht Jahre, ja Jahrzehnte zurück. Wenn ein Autor seine Erinnerungen kundtut, dann oft zusätzlich mit erzählerischem Können und einem Schuss Poesie. Bei dem 80jährigen Bora Ćosić, der nach vielen Jahren im Exil nach Belgrad zurückgekehrt ist, werden die Erinnerungen an das Hotel Majestic und dessen Umgebung, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte darüber hinaus noch literarisch und philosophisch untermauert. Kant, Derrida, Proust, Merleau-Ponty begegnet man hier, aber auch Goethe, Kästner oder sogar Hitchcock finden ihren Platz bei Ćosić. Maßvoll gesetzte Zitate fließen immer wieder gut sichtbar in den Text ein, ohne den Lesefluss zu stören.

Zu Anfang lässt Ćosić erst einmal die Belgrader Altstadt von einem Fenster des Majestic auf sich wirken, denn dann "… sind die Belgrader von heute, die ich von der Zitadelle des Majestic beobachte, auf die komischen Panzer ihrer Hüte reduziert, und ihr ganzer Körperbau ist unter dieser Decke eines wandelnden Hartflüglers zusammengestaucht". Dann geht er hinein in die Straßen und Plätze der Stadt und lässt die Erinnerungen Besitz von ihm ergreifen. Das "Bermuda-Dreieck" seiner Belgrader Kindheit nennt er dieses Areal. Er erzählt ohne Struktur, eher zufällig und aus einer Plauderlaune heraus über Bauwerke, Einrichtungen, Schaufenster, Badezimmer, Vampire, das Belgrader Irrenhaus, seltsame Nachbarn, bizarre Todesfälle, Malerei und junge Poeten, ohne dass diese Liste abschließend wäre.

Vor allem hat es ihm jedoch die Geschichte des Surrealismus in Belgrad angetan. "Was die Surrealisten entdeckten, war die Zerrissenheit der Lebensumstände, das Fehlen von Kontinuität bei den alltäglichen menschlichen Handlungen." Sie wetterten laut Ćosić gegen das "wache Bewusstsein des damaligen Bürgertums", und so führt er den Leser in die Traumwelt dieser Belgrader Surrealisten wie Davičo, Jovanović und Kostić, die ihre Träume als Lektüre sahen, die als unantastbar zu betrachten war. Sie veröffentlichen Irrenromane, erzählt der Autor, aßen lebende Schnecken, gingen auf Simsen öffentlicher Gebäude und machten allerlei sonderbare Dinge,

" …nur um den Wahnsinn des gewöhnlichen Lebens zu diffamieren und zu entlarven."

Bora Ćosić, der in Belgrad Philosophie studierte und als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen arbeitete, erhielt 1969 ein mehrjähriges Publikationsverbot und emigrierte 1992 zunächst nach Kroatien, dann nach Berlin, wo er bis heute lebt. Dieses Buch ist eine Schwärmerei, die die Verliebtheit des Autors in Belgrad und das Majestic widerspiegelt. Es ist jedoch keine ganz leichte Lektüre und erfordert ein gewisses Maß an Konzentration. Aber für Liebhaber philosophischer Betrachtungen ist "Frühstück im Majestic" sicherlich ein Schmeckerchen, ein geistreicher Spaziergang durch das alte Belgrad vor dem Krieg. Immer mit Gefährte Zufall als literarischen Begleiter.

"Es ist schwer, das Ausströmen der modernen Ideen, Vorsätze und Begabungen zu verfolgen, aber Schritt für Schritt, Welle um Welle breitete sich diese Stadt aus, nicht nur indem immer neue und neue Häuser gebaut und bis dahin nicht vorhandene Straßen geebnet wurden – diese meine Stadt dehnte sich in die Welt aus."

Frühstück im Majestic

Bora Cosic, Hanser

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