Beginners

  • Frankfurt: S. Fischer, 2012, Seiten: 360, Übersetzt: Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié, Antje Rávic Strubel
  • London: Cape, 2009, Titel: 'Beginners: the original version of What we talk about when we talk about love', Seiten: 212, Originalsprache
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Romy Fölck
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Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Uncut - Carver endlich in der Originalversion

Zwanzig Jahre nach seinem Tod ging einer der größten Wünsche von Raymond Carver in Erfüllung: Sein Erzählband "What we talk about when we talk about love" erschien 2008 in seiner ursprünglichen ungekürzten Fassung. Nun ist dieser Erzählband endlich auch auf Deutsch erhältlich. Und: Er ist ein Muss für jeden Kurzgeschichten-Liebhaber, nicht nur für Carver-Fans!

Dass Raymond Carver aufgrund seines lakonischen und minimalistischen Erzählstils eine ganze Generation von Autoren prägte und als einer der bedeutendsten Short Story Tellers des 20. Jahrhunderts gilt, ist bekannt. Dass sein Freund und Lektor Gordon Lish eine große Rolle für ihn spielte, ist auch kein Geheimnis. Wie gewaltig Lish jedoch in Carvers Werk eingriff, wird erst anhand von "Beginners" so richtig offenkundig und könnte die Diskussion von Autoren, wie weit der Einfluss eines Lektors gehen darf, erneut anheizen. Sage und schreibe gut vierzig Prozent des ursprünglichen Manuskripts strich Lish heraus, fügte Sätze ein, veränderte zahlreiche Titel und nicht selten auch das Ende der Stories und gab damit den Geschichten einen ganz neuen Charakter.

Da kommt natürlich die Frage auf, inwiefern Lish zu Carvers Ruhm beitrug und ob er ihn erst durch seine Überarbeitung zu dem gefeierten Minimalisten und Lakoniker machte. Denn Lishs Eingriffe in den Text des Autors waren immens und steigerten vor allem das Tempo der Geschichten, waren aber - wie die ungekürzte Fassung zeigt - nicht in dieser einschneidenden Form notwendig. Carver war auch ohne Lish ein brillanter Geschichtenerzähler, was das Lesen dieser alten Geschichten im ungekürzten Gewand zu einem großartigen Erlebnis macht. Der Erzählton ist - wie schon in den 80er Jahren - schwermütig, tragisch, skurril, tieftraurig und ganz selten komisch. Auch steht man, wie gehabt, gleich zu Anfang jeder Story mittendrin im Geschehen. Aber die Figuren erscheinen nun viel runder, sind feiner gezeichnet und kommen nicht ganz so düster daher wie in der alten "amputierten" Fassung. Auch die Dialoge verfolgt man trotz ihrer Längen gern und sie geben nun das Gefühl, viel näher an den Protagonisten zu sein. Obwohl ein paar Passagen eine straffere Erzählstruktur vielleicht etwas besser gestanden hätte und Carver sich manchmal unnötig wiederholt, haben die Geschichten durch die Veröffentlichung in der ungekürzten Form nichts von ihrer Kraft verloren. Im Gegenteil!

Der 1938 im US-Staat Oregon als Arbeiterkind geborene Raymond Carver, der viele Jahre unter seiner Alkoholsucht und seinen Eheproblemen litt, machte insbesondere die einfachen Leute zu den alltäglichen Helden seiner Geschichten. Dass in fast jeder dieser Geschichten Alkohol ein großes Thema ist, zeigt, wie sehr Carver gegen diese Sucht ankämpfte. Ob Alkoholiker oder nicht, diese Geschichten schrieb ein guter Beobachter, der äußerst sensibel auf seine Umwelt reagierte.

Ob er von einem Mann ohne Arme berichtet, der selbst geknipste Fotos anbietet ("Sucher") oder von einem unsinnigen Nachbarschaftsstreit, bei dem die Protagonisten nachts im Garten Schnecken jagen und zueinander finden ("Willst du mal was sehen"), von einem Ehepaar, was ganz tragisch seinen kleinen Sohn verliert und ausgerechnet nachts in einer Backstube Trost findet ("Ein kleiner Segen") oder vom Sonntagstripp zweier verheirateter Männer, der in einer Katastrophe endet ("Sag den Frauen, wir gehen") - Carver ist originell und trifft sofort den richtigen Ton. Ein Highlight ist natürlich auch in ihrer langen Version die Geschichte "Anfänger" (in der ursprünglichen Fassung "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden"), die ihren damals wirklich genialen Titel – und das muss man ihm nach wie vor hoch anrechnen - Gordon Lish verdankte. Lish hatte den Titel aus einem prägnanten Satz geschält: "Aber danach werden wir uns vermutlich alle schämen, wenn wir so tun als wüssten wir, wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden." Dass aber auch der Titel "Beginners" den Nerv dieser Geschichte trifft, zeigt eine andere Stelle: "Was wissen wir schon über die Liebe? (…) Also mir kommt es so vor, als ob wir alle blutige Anfänger auf dem Gebiet sind." Bei solchen Sätzen entsteht doch schon mal Gänsehaut.

Natürlich hatte Lish großartige Ideen, die Carvers Geschichten noch exzellenter machten! Daran besteht nach wie vor kein Zweifel. Diese Symbiose zwischen Autor und Lektor hätte legendär sein können, wäre Lish beim Lektorieren nicht so selbstverliebt über das Ziel hinaus geschossen und wäre da nicht der bittere Nachgeschmack von Carvers Korrespondenz an seinen Lektor. Denn dass Raymond Carver sich gegen Gordon Lish nicht durchzusetzen vermochte, wird auf den letzten Seiten besonders deutlich. So sind diesem Band, sozusagen als i-Tüpfelchen, Briefe von Carver an seinen Lektor beigefügt, die aufzeigen, wie sehr Carver die Kürzungen quälten und wie verzweifelt er versuchte, diese Einschnitte rückgängig zu machen. Befremdlich erscheint jedoch vor allem, wie sehr er seinen Lektor trotzdem umschmeichelte und hofierte.  

So schreibt Carver 1980 an Lish:

"Schon jetzt hast Du mir in gewissem Sinne Unsterblichkeit verliehen. (…) Gordon, die Änderungen sind brillant, und die meisten machen die Geschichten besser."

Dann rückt er aber endlich mit der Sprache heraus.

"Und jetzt habe ich Angst, schreckliche Angst, ich habe das Gefühl, wenn das Buch in seiner derzeitigen, bearbeiteten Form veröffentlicht wird, werde ich vielleicht nie wieder eine Geschichte schreiben, so wichtig sind einige dieser Geschichten für mein körperliches und seelisches Wohlbefinden… (…) Bitte leite die nötigen Schritte ein, um die Herstellung des Buches zu stoppen."

Dass Lish sich schließlich durchsetzte, der Erzählband in der gekürzten Version erschien und sogar Kultstatus erreichte, machte es für Carver nicht erträglicher. So schreibt er ihm bei der Arbeit an seinem nächsten Erzählband: "Bitte hilf mir mit diesem Buch als guter Lektor, als der beste… aber nicht als Ghostwriter." Besser könnte man Carvers Bredouille auch heutzutage nicht beschreiben.

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