Mary Ann im Herbst

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Hamburg: Rowohlt, 2012, Seiten: 352, Übersetzt: Michael Kellner
  • New York: Harper, 2010, Titel: 'Mary Ann in Autumn', Seiten: 304, Originalsprache
Mary Ann im Herbst
Mary Ann im Herbst
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Rita Dell'Agnese
621001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Den Faden wieder aufgenommen

Es ist schon einige Jahre her, seit Armistead Maupin mit seinen Stadtgeschichten eine große Fangemeinde um sich scharen konnte. Lange Zeit blieb es ruhig um die Geschichte, dann wagte Maupin eine Fortsetzung. Sie wurde von den Fans verhalten aufgenommen, der neue Stil mit einem egozentrischen Erzähler im Mittelpunkt konnte nicht überzeugen. Nun ist Maupin zu seinem alten Stil zurückgekehrt, hat mit Mary Ann im Herbst an die Stadtgeschichten angeknüpft, seine Protagonisten aber altern lassen. Mary Ann Singleton kehrt zurück nach San Francisco. Desillusioniert und von ihrem Ehemann betrogen, muss sie sich nicht nur einer schweren Krankheit stellen, sondern auch ihrer Vergangenheit. Mit Hilfe ihrer alten Freunde versucht sie, Fuß zu fassen und das San Francisco der Gegenwart zu ergründen.

Das Grundkonzept der Geschichte ist klar: Es knüpft an die Reihe der Stadtgeschichten an und lebt zur Hauptsache von den vertrauten Figuren. Für Leser, die erst jetzt auf die Stadtgeschichten stoßen, ist es nicht leicht, Zugang zu den Protagonisten zu finden. Der Einstieg in die Welt von Mary Ann und ihren Freunden gelingt dem Neuling nur mühsam, der stets angedeutete aber nicht ausformulierte Hintergrund irritiert. Die Protagonisten bewegen sich in einem schillernden Umfeld, das sich stark an der Schwulenszene orientiert und Raum für skurrile Figuren lässt. Das Sammelsurium extravaganter Charaktere kippt allerdings in den Bereich "Zuviel". Der Autor Armistead Maupin überzeichnet und provoziert. Die Fülle der sich am Rande der Gesellschaft bewegenden Figuren überschattet den Verlauf der Geschichte und macht es stellenweise schwierig, die Tiefe der Erzählung zu erkennen. Maupin kokettiert mit dem Ungewöhnlichen, was jedoch mehr und mehr an Reiz verliert und einem zunehmenden Überdruss Platz macht. Dadurch verschiebt sich der Fokus allzu sehr von der Handlung auf die einzelnen Figuren und man mag sich die Frage stellen, was genau Maupin hier erzählen möchte.

Im Zentrum steht mit Mary Ann eine Frau, die sich systematisch hinter einer Maske verborgen hatte und sich nun einer bitteren Wahrheit stellen muss. Armistead Maupin nimmt dieses Thema gut auf und stellt Mary Anns Zerrissenheit eindrücklich dar. Es ist allerdings nicht ganz nachvollziehbar, ob er den Leser dabei bewusst auf Distanz zu seiner Protagonistin hält. Mary Ann wird trotz all ihren Mühen keine Identifikationsfigur. Es mag daran liegen, dass Maupin in seinem Bemühen um Nonkonformität über das Ziel hinaus schießt. Bestes Beispiel dafür bildet der Umstand, dass Mary Ann ihren Ehemann via Skype bei seiner Untreue ertappt. Maupin stellt offen die Frage in den Raum, ob Mary Anns Mann die Situation absichtlich herbei geführt hat – das Rätseln um die wahren Umstände dieser virtuellen Panne mag sich aber nur verhalten einstellen. Hier setzt sich Maupin dem Verdacht aus, seinen Stadtgeschichten etwas zu bemüht einen modernen Aspekt zu geben.

Das Aneinanderreihen von extravaganten Figuren und außergewöhnlichen Situationen bei einer etwas faden Geschichte vermag kaum Emotionen zu wecken. Es ist ein Roman, der unbedingt im Kontext zu den bereits erschienen Stadtgeschichten gesehen werden muss. Denn nur die konsequente Begleitung der Figuren durch alle Geschichten hindurch kann das Auge für die Feinheiten des Romans öffnen. Freunde der Stadtgeschichten finden bei "Mary Ann im Herbst" nicht nur die vertrauten Charaktere wieder, sie erleben auch eine neue Lebensphase der einzelnen Figuren. Sie dürften das "Wiedersehen" nach etlichen Jahren in vollen Zügen genießen. Für Neulinge hingegen ist es eine Herausforderung, die bunte Welt der Stadtgeschichten in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. 

Mary Ann im Herbst

Armistead Maupin, Rowohlt

Mary Ann im Herbst

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