Niemals selten
manchmal immer

Film-Kritik von Carola Krauße-Reim / Titel-Motiv: © Universal Pictures

Exzellente Umsetzung einer persönlichen Ausnahmesituation

Die Schülerin Autumn, 17 Jahre alt, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist schwanger. Da in Pennsylvania Abtreibungen bei Minderjährigen nur mit der Einwilligung der Eltern durchgeführt werden können, fahren Autumn und ihre Cousine Skylar nach New York, um den dort ohne Einwilligung möglichen Eingriff vornehmen zu lassen ...

Eine Welt ohne Empathie und Kommunikation

Eliza Hittman hat Regie geführt und auch das Drehbuch geschrieben. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche, lässt Hintergrundgeschichten und Nebenhandlungen weg. Im Zentrum des Geschehens stehen Autumn und Skylar - und sonst niemand.

Autumn befindet sich in einer persönlichen Ausnahmesituation, sie braucht dringend Unterstützung; doch der Dialog mit ihren Eltern fehlt. Die aufgesuchte Praxis in ihrer kleinen Heimatstadt bietet neben einem Test aus dem Supermarkt Infos zu Adoptionen und ein Abtreibungsvideo mit dem Titel „Harte Wahrheit“, aber keine Art von Beratung an. Skylar erfasst zwar die Lage und hilft sofort, aber auch mit ihr kann Autumn nicht reden. Die Fähigkeit des Dialoges, die Offenlegung von Problemen und auch die Gewissheit der emotionalen Nähe und Wärme in der Familie und bei Freunden sind diesen jungen Frauen und der Gesellschaft abhandengekommen; dieser Verlust zieht sich durch den ganzen Film. Ganz auf sich gestellt versucht Autumn einen Abort herbeizuführen – Szenen, die nahegehen und die Verzweiflung der jungen Frau zeigen. Die Praxis in New York stellt eine fortgeschrittene Schwangerschaft fest, was ein weiterer Schlag für Autumn ist, denn dies erfordert weitere Maßnahmen. Doch auch hier sind die Beraterinnen und Ärztinnen sehr distanziert, arbeiten sie quasi als Patientin Nr. X ab – keine Emotionen, nur Kälte.

Während des Aufnahmeverfahrens stellt die Sozialarbeiterin Autumn sehr persönliche Fragen, die diese mit „niemals“, „selten“, „manchmal“ oder „immer“ beantworten muss. Jetzt kann Autumn ihre Gefühle nur noch schwer unter Kontrolle halten, und es wird offensichtlich, dass sie schon einiges aushalten musste und nicht immer alles freiwillig geschah. Doch dieser Einblick in Autumns Seele währt nur kurz; sie macht die Schotten wieder dicht, zeigt auch beim Eingriff keine Emotionen - genauso wie die Sozialarbeiterin, die als moralische Unterstützung mit dabei ist, aber mehr als mechanisches Tätscheln am Kopf mit starrer und ausdrucksloser Mine nicht fertigbringt.

Gesellschaftskritik in beklemmenden Bildern

Der Film zeigt die aktuelle Abtreibungs-Situation in den USA. Frauenrechte werden negiert, Abtreibungskliniken von „Pro-Life“-Demonstranten belagert. Hittman hält den Zuschauern den Spiegel vor und provoziert ein Nachdenken über die Lage, wobei sie die Gesamtsituation der immer empathieunfähigeren Gesellschaft anprangert. Dass dies sehr eindrücklich passiert, liegt zum einen an dem Stil des Films – keine Hintergrundmusik, nur vereinzelt minimalistische Dialoge und eine Kameraführung, die sich auf die Gesichter konzentriert –, zum anderen aber auch an den hervorragenden jungen Schauspielerinnen: Sidney Flanigan hat zu Recht zahlreiche Nominierungen und Preise für ihre Darstellung der Autumn erhalten.

Sie musste die emotionale Kälte in Autumns Welt, ihre Unfähigkeit, sich mitzuteilen, ihre Angst und ihre Verzweiflung durch ihr physisches Spiel, ihre Körperhaltung und ihre Aktionen verdeutlichen, denn Mimik und Gestik sind auf ein Minimum reduziert; doch das hat sie sehr ausdrucksstark gemeistert. Genauso wie Talia Ryder als ihre Cousine Skylar: Sie hilft, ohne große Worte zu machen, ist aber nicht imstande, emotionale Nähe herzustellen oder auch nur einmal nach dem Vater des Kindes zu fragen, der während des ganzen Films nie erwähnt wird. Ryder verkörpert diese junge Frau glaubhaft; man kann ihren Wunsch, Autumn beizustehen, sehen und ist gerührt, wenn sie das benötigte Geld ohne Rücksicht auf Konsequenzen besorgt. Die “Me-Too“-Debatte hat diesen Film mit Sicherheit befeuert, denn der tägliche Sexismus, dem Frauen ausgesetzt sind, wird ebenfalls thematisiert: Hingeworfene abfällige Bemerkungen, sexuelle Übergriffe und die gesellschaftlich geduldete Diskriminierung werden als Selbstverständlichkeiten in dem Leben der beiden Frauen gezeigt.

Fazit

Niemals selten manchmal immer ist kein Unterhaltungsfilm für den Sonntagnachmittag. Er übt Kritik an der amerikanischen Gesellschaft und zeigt diese durch eine als beklemmend emotions- und kommunikationslos dargestellte Atmosphäre, die durch das exzellente Spiel der beiden Darstellerinnen greifbar wird. Eliza Hittman hat ein Thema aus der Tabuzone geholt, über das eine gesellschaftliche Debatte nötig ist – nicht nur in den USA.

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Fotos: © Universal Pictures

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