Scherben zu einem neuen Ganzen zusammenfügen.
Die zufällige Begegnung und das Gespräch mit Jo, im Museum, wird für Jule zum Wendepunkt in ihrem Leben. Eine Woche später wacht sie im Krankenhaus auf. Misshandelt von ihrem Freund Mark, erinnert sie sich daran, dass der Fremde im Museum ihr von dem verlassenen Haus seiner Eltern in der Provence erzählt hat. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus flüchtet Jule dorthin.
Heilen und neu ausrichten
Da musste wohl das Schicksal seine Hand im Spiel gehabt haben, als Jule im Museum von Jo angesprochen wird. Die kurze Begegnung und das gute Gespräch führten dazu, dass sie ihre Nummern austauschten, denn Jo musste am nächsten Tag zurück nach München. Er vergisst jedoch seine Handschuhe und meldet sich Wochen später bei Jule. Als er beruflich wieder in Wien ist, vereinbaren sie ein Treffen. Doch Jule kann die Verabredung am Abend nicht einhalten. Sie erwacht am nächsten Morgen im Krankenhaus, nachdem ihr Freund sie zusammengeschlagen hat.
Sobald es ihr etwas besser geht, überredet sie ihre Freundin Vera, ihr einige Sachen aus ihrer Wohnung zu holen und ihr Auto auf dem Krankenhausparkplatz abzustellen. Es dauert noch ein paar Tage, aber dann setzt sich Jule hinters Steuer und flüchtet in die Provence. Ausser Jo weiss niemand, wo sie sich versteckt hält. Hier im Süden will sie zu sich kommen, die Scherben ihres Lebens einsammeln und alles zu einem neuen Ganzen zusammenfügen. Die Angst aber verschwindet nie ganz, und Monate später muss sie sich ihr stellen.
Die Last der Vergangenheit
Es ist nicht nur die toxische Beziehung zu Mark, die sie lange Zeit einfach hingenommen hat. Es sind auch verdrängte Erinnerungen an ihren innig geliebten Vater, der viel zu früh verstorben ist, und an ihre strenge und kalte Mutter, der sie es nie recht machen konnte. Nun ist Jule sechsundvierzig Jahre alt und am Tiefpunkt ihres Lebens angelangt.
In der Provence beginnt sie, sich zu öffnen, schliesst Bekanntschaften und fühlt sich mit jedem Tag mehr angekommen. Mit der Zeit verwandelt sich ihre Orientierungslosigkeit in Zuversicht.
«Je mehr wir uns einer Sache nähern, desto weniger sehen wir. Das Ganze wird erst klar, wenn wir Abstand haben. Zu viel Nähe lässt nur den verengten Blick auf das Klein-Klein zu. Man sieht lediglich Gekleckse. Der grosse Wurf bleibt verborgen.»
Ein Gespür für Sätze
Annette Hohberg hat sich für ihren Roman ein heikles und immer noch tabuisiertes Thema ausgesucht – häusliche Gewalt. Mit viel Fingerspitzengefühl, ohne Übertreibungen und mit wunderbaren Satzkonstrukten erzählt sie Jules Geschichte. Sie trifft genau den richtigen Ton und erzählt mit sanften Worten von Jules beschwerlichem Weg zurück in die Unabhängigkeit und zurück ins Leben. Gerade die vielen Telefonate zwischen Jule und Jo beschreiben anschaulich, dass Heilung nur möglich ist, wenn man sich seinen Dämonen beziehungsweise seiner Vergangenheit stellt.
«Seinen Standort zu kennen und zu wissen, was das Ziel ist, das ist vielleicht das Wichtigste im Leben.»
Die sonnige Provence und ihre Menschen tragen ihr Übriges dazu bei, dass dieser Roman trotz des schwierigen Themas eine gewisse Leichtigkeit beibehält. Auch wenn die Geschichte gegen das Ende etwas flacher wird, ist sie in jedem Fall lesenswert.
Fazit
Annette Hohberg erzählt in ihrem Roman «Ein Leben später» die Geschichte einer mutigen Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Wunderbare Satzkonstruktionen und Dialoge wechseln sich mit einer sanften Erzählweise ab. Das macht das Buch besonders, auch wenn die Geschichte gegen Ende etwas schwächelt.

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