Schuldig

  • New York: Atria, 2006, Titel: 'The tenth circle', Seiten: 385, Originalsprache
  • Köln: Lübbe Audio, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Dietmar Wunder
Schuldig
Schuldig
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Rita Dell'Agnese
891001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2011

Wer trägt woran die Schuld?

Trixi Stone wurde vergewaltigt. Doch die Geschichte, die die 14-Jährige erzählt, ist lückenhaft und unglaubwürdig. Das zumindest denkt Detective Bartholemew, der den Fall untersuchen soll. Der angebliche Vergewaltiger Jason war Trixis Freund – und behauptet, sie sei mit dem Sex einverstanden gewesen. Gestützt wird Jasons Aussage durch ein Foto, das Trixi leicht bekleidet auf einer Party zeigt. Alle zeigen mit Händen auf Trixi, die Schlampe. Doch plötzlich scheint sich das Blatt zu wenden. Da wird Jason tot aufgefunden. Bartholemew glaubt nicht an den Selbstmord des Jungen. Denn er hat Beweise entdeckt, dass Jason ermordet worden ist. Und setzt alles daran, Trixi zu überführen. Das Mädchen scheint durch ihre unerwartete Flucht nach Alaska ihre Schuld einzugestehen. Daniel und Laura Stone reisen ihrer Tochter nach, um sie zu retten. In Alaska wird Daniel mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Einer Vergangenheit, von der seine Familie nichts wusste.

Aktuelles Thema aufgegriffen

Das Opfer wird zur Täterin: Wer einen Vergewaltiger anzeigt, muss damit rechnen, von dessen Anwälten – und oft auch von der Öffentlichkeit der Lüge bezichtigt zu werden. Genau diese Erfahrung macht die verstörte Schülerin Trixi in Jodi Picoults Roman Schuldig. Sie, die alles darum gegeben hätte, dass der umschwärmte Jason zu ihr zurückkehrt, beschuldigt ihn nun eines Verbrechens. Ist es die Rache dafür, dass er sie vor kurzem sitzen gelassen hat? Oder ist Jason tatsächlich schuldig? Die Leser schlingern in dieser Frage hin und her. Je mehr Jodi Picoult von der Gedankenwelt des Opfers aufzeigt, desto größer wird die Unsicherheit. Die Autorin spielt buchstäblich mit den Gefühlen ihrer Leserschaft und setzt sich dem Prozess aus, den die Öffentlichkeit in einem solchen Fall durchmacht. Zwischen Mitleid mit dem Opfer und dem locker sitzenden Vorwurf, dass sie "es" selber wollte, ist nur eine kleine Spanne. Vorurteile und falsch verstandene Loyalität tun ein Übriges. Dann stirbt Jason. Und zumindest für den Ermittler ist schnell klar, dass sich Trixi gerächt hat. Immerhin gibt es einige belastende Indizien. Wieder gerät die Leserschaft in einen Konflikt zwischen Mitgefühl und Anklage. Dies alles geschieht höchst subtil.

Unnötige Elemente

Leider lässt Jodi Picoult in den starken Plot einige Elemente einfließen, die die rund und stimmig erzählte Geschichte unnötig belasten. So bringt sie eine mystische Note ins Geschehen, die sich eher störend denn bereichernd ausnimmt. Denn die den einzelnen Protagonisten zugeschriebenen Gefühle sprechen eine so intensive Sprache, dass die mystischen Elemente einen eigentlichen Bruch darstellen und den Roman unnötig in die Phantastik-Ecke bugsieren. Ebenso fragwürdig ist das Einbinden des Hundeschlitten-Rennens in Alaska, das zwar interessieren kann, vor dem Hintergrund der eigentlichen Geschichte aber doch eher als Ballaststoff daher kommt. Hier wird streckenweise die Frage aufgeworfen, ob sich die Autorin ihres eigenen Plots nicht mehr ganz sicher war und nach weiteren Elementen gefischt hat, um dem Roman Gehalt zu geben. Ein völlig unnötiges Unterfangen.

Interessante Kombination

Ungewöhnlich, wenngleich geglückt, ist die Verbindung des Romans mit Comic-Elementen. Daniel Stone als Comic-Zeichner arbeitet seine Empfindungen in einen Strip ein. Dieser wird über den ganzen Verlauf der Geschichte eingestreut und verleitet dazu, die Wahrnehmungsebene zu wechseln. Steht im einen Moment noch die gefühlvoll aber realistisch erzählte Geschichte im Vordergrund, macht sie im anderen Moment einer phantasievollen Comicwelt Platz, in der Daniel Stone als unbezwingbarer Held um das Wohl seiner Tochter kämpft. Trixi selber erlebt ihren Vater aus verschiedenen Perspektiven – so ist er unbestreitbar ihr Held der Kindertage. Aber er ist auch ein Mensch, der rot sieht und sich mit brutaler Gewalt dem Widersacher seiner Tochter entgegen stemmt. Während Daniel auf verschiedenen Ebenen kämpft, trudelt Laura in ihren eigenen Schuldgefühlen umher und verliert jede Orientierung.

Berührendes Familiendrama

Jodi Picoult legt harten Stoff vor. Sie zieht vom Bild einer Familienidylle einen verklärenden Schleier und konfrontiert die Leserschaft mit einer verstörenden Wirklichkeit, in der die Frage nach Schuld allgegenwärtig ist. Dabei verliert sie aber nicht den Funken Hoffnung, der immer wieder aufflammt und letztlich mit dem Geschehen aussöhnt. Auch wenn die ganze Zeit über offen bleibt, wer woran die Schuld trägt und wer dafür sühnen muss.

Spannend, berührend, bewegend: Schuldig ist nicht das Beste von Jodi Picoults Büchern. Aber es ist eines der Besten. Und wie ihre anderen Bücher vermag es, den Lesern einen Spiegel vors Gesicht zu halten, um sich die Frage zu stellen: Wie hätte ich in dieser Situation reagiert? Was hätte ich geglaubt, getan?

Schuldig

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