Smart City

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Thomas Gisbertz
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Belletristik-Couch Rezension vonSep 2025

Was ist uns der Erhalt der Demokratie wert?

NEUDA, in naher Zukunft: Die Smart City, am nördlichen Donauufer irgendwo zwischen Wien und der Slowakei als Planstadt gegründet, ist längst ein Vorzeigeobjekt der österreichischen Regierung. Angepriesen wird sie als sicherste, sauberste und nachhaltigste Stadt der Welt. Autos findet man in der autarken City ebenso wenig wie Treibhausgas-Emissionen, Plastikmüll oder die Abhängigkeit von Energielieferanten. Hier kann man ohne Kriminalität und unliebsame Ausländer ruhig schlafen, denn die Stadt bietet Sicherheit und ein rundum erfülltes Leben. Hierfür sorgen auch Drohnen, die alles überwachen, die Registrierung aller Bewohner und Gäste in der Stadt, kostenfreie wie geräuschlose Elektrocaddies und Cleaning-Robots. Auch der zulässige Lärmpegel in der City - maximal 54 Dezibel - wird selbstverständlich kontrolliert. Es wird alles von der Tucana-Security, einer privaten Sicherheitsfirma, getan, um ein harmonisches und sorgenfreies Zusammenleben der Bewohner NEUDAs zu garantieren.

Vielleicht ist dies der perfekte Ort für Morag Oliphant. Die schwer traumatisierte Frau erholt sich von einem Anschlag, bei dem ihr Mann und ihre Tochter ermordet und sie schwer verletzt wurde. Schädel-Hirn-Trauma, die Auswirkungen immer stärker spürbar. Morag will endlich wieder ein normales Leben führen und zieht auf Rat ihrer Therapeutin nach NEUDA. Mit ihren Reportagen soll die Journalistin bei der Zeitung Timeline Werbung für die neue Vorzeigestadt machen. Schon bald sind ihre viel gelesenen Artikel in aller Munde, doch anders als geplant, denn ihre Themen werden immer kritischer - sehr zum Missfallen der Mächtigen. Gleichzeitig muss Morag erkennen, dass rätselhaft Dinge in der Stadt geschehen: Nicht registrierte Menschen halten sich in NEUDA auf, der Müll verschwindet unbemerkt vor den Toren der Stadt, und die Sicherheitsfirma Tucana scheint ohne Kontrolle ihre Macht immer stärker auszubauen. Als bei einer Demonstration ein Mann stirbt und niemand Verantwortung übernehmen will, kommt Morag Oliphant nicht nur dem schattenhaften Geflecht von Politik und dem Konzern, der NEUDA betreibt, näher. Sie muss auch erkennen, dass sie den Mördern ihres Mannes und ihrer Tochter ganz nah ist.

Am Puls der Zeit

Der österreichische Schriftstellers Daniel Wisser, der für seine Romane bereits mehrere Preise erhielt, u.a. den Österreichischen Buchpreis für „Königin der Berge“ (2018), ist bekannt als ebenso scharfer wie humorvoller Beobachter der österreichischen Gesellschaft. Zuletzt schrieb er unter dem Pseudonym Simon Ammer sehr lesenswerte Regionalkrimis. Mit „Smart City“ gelingt dem gebürtigen Klagenfurter nun ein bemerkenswertes Buch. Der Roman, der durchaus auch etwas Parabelhaftes besitzt, ist nicht nur in seiner politisch-gesellschaftlichen Thematik hochaktuell, sondern er stellt eine besonders in dieser Zeit elementare Frage: Was ist uns die Demokratie wirklich wert?

Sehr wahrscheinlich liest man den Roman als österreichischer Leser noch einmal anders, erkennt Bezüge zu Orten, Personen und Begebenheiten klarer. Aber eigentlich ist dies gar nicht nötig, denn NEUDA könnte beinahe überall liegen und die Geschehnisse in der Planstadt führen in eindringlicher Weise vor Augen, worauf wir beinahe überall in Europa - sei es durch den immer stärker werdenden Einfluss rechter Parteien und Organisation, sei es aus Ignoranz und mangelnden Gegenwehr - zusteuern: den Verlust von wahrer Demokratie. Auch in NEUDA stellen die bereits von Immanuel Kant zu Zeiten der Aufklärung angeprangerten Bequemlichkeit und Faulheit der Menschen eine ebenso große Gefahr dar wie das hier entstandene totalitäre System, das Erinnerungen an Orwells dystopischen Roman „1984“ weckt. Auch wenn die Thematik nicht neu ist und vielleicht vereinzelt Inhalte und Passagen zu konstruiert wirken: Daniel Wisser hat nicht nur einen Blick für derlei Strömungen, sondern versteht es, dem Leser die Unzulänglichkeiten einer Gesellschaft, die sich von fehlgeleiteten Wünschen und Sehnsüchten treiben lässt, vor Augen zu führen.

Alt, aber doch modern

Bei allem ist es wie in einem rumänischen Lied, dem Morag Oliphant und ihre Freundin Maria, eine Arbeitskollegin bei der Timeline, an einer Stelle im Roman lauschen. Auf ihre Frage, ob es ein altes Lied sei, erhalten sie die Antwort: „Es ist alt - und auch ganz neu. Es ist immer modern.“ Das immer gleiche Lied, mit der immer gleichen Bedeutung: „Die Welt, ach Schwester, die Welt, ich kann sie nicht ertragen.“ Und wieder werden Menschen in Klassen eingeteilt, unbequeme Kritiker und Gegner „entsorgt“, die Medien kontrolliert und alle von Big Brother kontrolliert. Überwachung und Macht als Säulen der Gesellschaft. Alles altbekannt. Die Täter werden nicht belangt und die Menschen schauen einfach zu. Auch das kennt man. Weil es einfacher ist und das Leben eigentlich erträglich erscheint - auch auf Kosten anderer. Verantwortung übernehmen nur wenige. „Eine Revolution der Frauen ist längst überfällig“ lautet die Parole der neugegründeten Partei in der Stadt. Mit Morag Oliphant an der Spitze. Ein vorübergehendes Aufbegehren, mehr nicht. Der Wahlerfolg wird zum zweifelhaften Kompromiss. Wieder siegt die Bequemlichkeit - oder der Wunsch nach Macht. Am Ende ändert sich eigentlich nichts. Nur eins: NEUDA bleibt leider keine Ausnahme.

Fazit

 „Smart City“ ist mehr als nur ein überspitztes Porträt eines gegenwärtigen Österreichs. Es zeigt die Auswüchse gesellschaftlicher Strömungen, wie man sie überall in Europa findet. Auch wenn man sich bei den Figuren - wie etwa bei Arno Geiger - mehr Grautöne wünschen würde, ist der Roman überaus lesenswert. Es ist halt doch immer dasselbe alte Lied, nur zuhören möchte keiner mehr. Gut, dass Daniel Wisser ihm eine neue Stimme gibt.

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