Leben am Ende der Welt.
Das Finistère ist das französische Ende der Welt. Neben seiner wunderbaren Küste, hat es auch ein wenig beachtetes Hinterland. Moore, ursprüngliche Wälder, Seen und viel Ruhe prägen diesen Landstrich, der lange von der Welt vergessen zu sein schien. Hier spielt die Geschichte von „Der Sommer, in dem alles begann“, das zweite Buch von Claire Léost, das wie ihr erstes ebenfalls verfilmt wurde und bereits 2024 als gebundenes Buch erschien.
Drei Frauen, drei Generationen
Léost erzählt die Geschichten von Odette, Hélène und Marguerite. Odette muss nach dem zweiten Weltkrieg und dem Tod der Eltern ihr Dorf „Le Bois d‘en Haut“ im Hinterland der Bretagne verlassen. Ihr Weg führt sie nach Paris. Im Haushalt einer wohlhabenden Familie verdingt sie sich als Hausmädchen. Die 16-jährige Hélène wohnt seit ihrer Kindheit in „Le Bois d‘en Haut“. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben, nur ihr Freund Yannick irritiert sie mit seinem ständigen Reden von einer Bretagne, in der wieder die Bretonen mitsamt ihrer Sprache und Kultur das Sagen haben sollen. 1994 jedoch ändert sich Hélènes Leben drastisch. Eine neue Lehrerin kommt in die Schule – Marguerite. Diese erscheint den Dorfbewohnern als typische Pariserin: schick angezogen, mit teurem Geschmack und einem Mann im Schlepptau, der ein berühmter Krimi-Schriftsteller ist. Marguerite erkennt Hélènes Intelligenz und fördert sie. Doch Marguerite hat auch einen ganz persönlichen Grund ausgerechnet nach „Le Bois d‘en Haut“ gekommen zu sein. Selbst ungeliebt bei einer Adoptivfamilie aufgewachsen, sucht sie ihre leibliche Mutter, die aus dieser Gegend gekommen sein soll. Das Dorfleben kommt durcheinander und der Sommer bringt nicht nur Schönes.
Zu viel gewollt
„Der Sommer, in dem alles begann“ wird auf drei Zeitebenen erzählt. Dabei nehmen Odettes Erlebnisse in Paris und das Leben im Dorf 1994 den meisten Raum ein. Der Wechsel der Zeitebenen ist kein Problem, doch die Anzahl an Themen macht das Ganze schon schwerer. Das Streben nach Unabhängigkeit der Bretonen, die Gewalt im Krieg, der Verlust von Eltern, die Suche nach der leiblichen Mutter, Schreibblockaden eines Schriftstellers und noch so einiges mehr werden in diesen Coming-of-Age-Roman mit anhängender adulter Identitätssuche gepackt. Das ist fast ein bisschen viel, hätte aber durch ausgereifte Protagonistinnen noch gerechnet werden können – hätte.
Odette, Hélène und Marguerite
Von diesen drei Frauen ist einzig Odette wirklich gut gezeichnet. Ihre Erfahrungen im Krieg und dann in Paris sind eigentlich der am besten nachzuvollziehende Teil des Buches. Hélène und Marguerite dagegen bleiben farblos. Zwar kann man den Drang nach Bildung bei Hélène durchaus spüren, doch wirklich in ihr Seelenleben wird nicht eingedrungen. Genauso Marguerite, deren Suche nach ihrer Mutter merkwürdig konstruiert erscheint. Und wer auch ein wenig zwischen den Zeilen lesen kann, merkt sehr bald, wie und wo diese Suche enden wird. Léost hätte sich mit ausgereifteren Charakteren einen Gefallen getan. Sie hätten aus einer netten Unterhaltungsgeschichte, die in einem weniger bekanntem Teil der Bretagne spielt, einen tiefgründigen Roman gemacht, der nicht gleich bei Beendigung vergessen wird.
Fazit
Ein Roman, in dem zu viel gewollt wurde. Mit „Der Sommer, in dem alles begann“ liefert Claire Léost einen Unterhaltungsroman ohne viel Tiefe ab. Kann man lesen, muss man aber nicht. Es gibt wahrscheinlich bessere Coming-of-Age-Geschichten.



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