Air
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: März 2025
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Zwischen Mittelalter und KI.
Das neue Buch von Christian Kracht «Air» ist so anders, als seine früheren Werke und doch nicht enttäuschend. Beim Lesen kommt der Leser, wie seine Protagonisten, zum Wandern und das zwischen Welten, die unerklärlich sind. Eine Aufklärung geschieht nur insoweit, wie die Fäden der Geschichte miteinander verflochten sind.
Auf den Orkney-Inseln
Der Roman beginnt in einer realitätsnahen Gegenwart, in der auf den schottischen Orkney-Inseln der Innenarchitekt Paul mit Ambitionen zu alternativer Lebensweise wohnt. Er favorisiert Sauerteigbrot und hat sein eigenes zu Hause minimalistisch, aber durchaus durchdacht eingerichtet. Wir erfahren eine genaue Beschreibung seiner Lebensumstände, seiner Ideen, aber auch seine erfolgreichen Projekte, durch die er bekannt wurde. Auffällig hier schon die menschenleere Umgebung. In der Bäckerei liegt das Brot zum Mitnehmen draußen, die Bäckerin ist Pilze suchen. Ansonsten kein Nachbar, kein Plausch mit einem Bekannten nur ein mürrischer Alter am Hafen, der nicht mal grüßt. Das wirkt schon auf den ersten Seiten gespenstisch. Per Mail bekommt er einen Auftrag für das Streichen einer riesigen Halle mit einem perfekten Weiß. Das zu finden ist seine Aufgabe und er macht sich auf den Weg nach Norwegen in die Stadt Stavanger.
Das perfekte Weiß in Stavanger
Der Auftrag kam nicht von ungefähr. Der Herausgeber der Einrichtungszeitschrift «Küki» Cohen, die Paul sammelt, hat den Auftrag vergeben. Nach einem kurzen philosophischen Gespräch mit Cohen, wird Paul zu seinem Auftragsort gefahren. Es ist eine unfassbar große Halle mit Servern, Speichern, die alle vor sich hin blinken oder piepen. Die KI der Welt scheint hier versammelt. Während er durch diese Halle läuft, tritt ein kosmisches Ereignis ein, das ihn in eine komplett andere Welt katapultiert. Und hier wird es mystisch.
Mittelalter
Das Mädchen Ildr wurde uns in einem vorangegangenen Abschnitt vorgestellt. Ihre einfache Lebensweise in einer mittelalterlich-archaischen Welt in großer Armut trifft auf den Paul aus unserem Jahrhundert. Der zunächst als Fremder bezeichnete Paul, gilt durch sein Wissen als Magier. Er wird verfolgt von Soldaten eines Herzogs, weil sie in seinen Taschen Antibiotika vermuten, welches der Herzog für seine Erkrankung benötigt. Der Herzog ein Mörder und Folterer ist berüchtigt für seinen Dornenturm und der dort stattfindenden Gewalt. Aber alles das wird erst zum Schluss entwirrt. Die Wanderung der beiden Gefährten Paul und Ildr ist eine Beschreibung durch eine menschenleere (bis auf die Soldaten) und zunehmende menschfeindliche Welt.
Steinstadt
Der Weg nach Süden ist der in eine Gegend ohne organische Substanz, wenn man von Algen und Fischen absieht. Mit Süden verbindet sich gedanklich Wärme, Sonne und eine üppige Pflanzenwelt. Kracht dreht es um, der Süden ist nur von Steinen besetzt, es gibt kein bisschen Grün nur das Eismeer. Die einzigen Menschen, denen sie fast verhungert begegnen, sind Menschen die der nordischen Mythologien entstiegen sein könnten. Allerdings einer Welt ohne Hierarchien, Besitz und Macht, eine märchenhafte Gesellschaft. In dieser Steinstadt treffen alle aufeinander. Cohen, der sich mit Tabletten umgebracht hat, findet den Weg über das Eismeer auf dem Ruderboot von Paul zur Steinstadt, der Herzog mit seinen Soldaten, im Begriff, die Steinstadt zu erobern, was jedoch misslingt.
In dieser mythologischen Welt mit Pfeil und Bogen, Tierfellen, Steinkrügen leinenen Gewändern, muten die Utensilien wie Feuerwaffen oder das magische Pulver (Antibiotika) wie Zauberei an. Aber sie sind aus unserer Welt, Kracht hat das Alles in eine Mischung von Heldenerzählung und Abenteuer verpackt ohne einen kitschigen Unterton. Gesellschaftliche Utopien, wie eine Gemeinschaft, in der alles geteilt wird und gemeinsam erarbeitet wird, verpuffen in dem Nachweis der Unmöglichkeit. Auch in der Steinstadt gibt es Menschen, die sich durch ihr Tun von anderen abheben. Kracht vertieft es jedoch nicht. In der Tatsache, dass einige Bewohner wieder nach Norden in die Welt der Pflanzen und Tiere zurückkehren, wird es augenblicklich zu Unterschieden kommen und damit zur Spaltung. Es versteht sich von selbst, dass in dieser Welt von Fantasy und Märchen keine geschichtlichen Verweise vorkommen können, die man von Kracht erwartet hätte. Die fesselnde Schreibweise verführt zum schnellen Lesen, was aber schade ist, da der Leser sich schöne Entdeckungen in Sprache oder Naturbeschreibungen entgehen lässt.
Christian Kracht, 1966 in Saanen in der Schweiz geboren, ist als moderner Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor bekannt. Seine erfolgreichen Romane wurden in 35 Sprachen übersetzt.
Fazit
Eine gespenstige Welt voller Einsamkeit und Kälte trifft auf Herrscher mit Folterkellern, Eismenschen ohne Augenbrauen und Steinstädter, die von fast nichts leben. Was für eine Fantasie!
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