Die Briefeschreiberin

Die Briefeschreiberin
Die Briefeschreiberin
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Monika Wenger
901001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2025

Ein Charakter mit Ecken und Kanten und eine nicht verheilte seelische Verletzung.

In ihrem Debütroman «Die Briefeschreiberin» erzählt Virginia Evans die Lebensgeschichte von Sybil van Antwerp in Briefen, die sie geschrieben oder erhalten hat. Zusammen erzählen sie von einem gelebten Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und von einer Frau und Juristin, die sich mit dem geschriebenen Wort am besten auszudrücken wusste.  

Eine eigenwillige Protagonistin

Die 73-jährige Sybil van Antwerp ist eine leidenschaftliche Briefeschreiberin. Dies war sie ihr Leben lang. Sich mit Worten auszudrücken liegt ihr. In ihrem Berufsleben war ihr dieses Talent nützlich. Der Umgang mit Menschen fällt ihr allerdings weniger leicht. Oft ist sie ruppig, abweisend oder ihren Kindern gegenüber belehrend. Auch mit sich selbst ist sie streng. Wie so oft steckt jedoch unter der harten Schale ein weicher Kern. Im Alter scheint Sybil milder zu werden. Das ist in ihren Briefen deutlich zu spüren. Erinnerungen schleichen sich ein und sie blickt zurück auf ihr Leben. Doch nicht nur das Alter wirkt sich auf Sybils Wesen aus. Ein Augenleiden macht ihr zu schaffen. Ihr Sehvermögen nimmt stetig ab und sie wird bald erblinden. Aus diesem Grund muss das schwierige Verhältnis zu ihren Kindern geklärt werden. Und auch die Liebe soll noch einmal eine Rolle spielen. Während sie diese wichtigen Punkte aufarbeitet, holt sie die Vergangenheit ein. Sybil muss sich noch einmal mit einem alten Fall und auch mit einem seelischen Trauma, das sie seit dreissig Jahren verdrängt hat, beschäftigen.

Originelle Briefform

Für ihren Roman hat sich Virginia Evans eine nicht alltägliche Form der Darstellung ausgesucht: die Briefform. Die kurze Einleitung befasst sich mit der Hauptfigur und vermittelt einen ersten Eindruck von ihr. Anschliessend besteht der Roman nur noch aus Briefen, die die Protagonistin schreibt oder auch empfängt. Es braucht deshalb einen Moment, bis man sich eingelesen hat und die Zusammenhänge erfasst. Sybils Texte enthüllen erst nach und nach Ereignisse, die ihr Leben nachhaltig prägten. Jedes Schreiben zeigt neue Facetten dieser eigenwilligen Frau, die über das Briefeschreiben ganz einfach Zugang zu den verschiedensten Menschen findet, im persönlichen Kontakt jedoch sperrig und kühl erscheint. Trotzdem fällt es leicht, sich auf die Figur einzulassen. Das liegt zweifellos an der geschickten Darstellung und der gewählten Sprache.

«Meine Korrespondenz hat mir immer wesentlich mehr bedeutet als meine gesamte juristische Arbeit. Briefe sind die Konstante in meinem Leben, während die Juristerei nur circa dreissig Jahre umfasst hat. Die Tätigkeit im Gericht war Arbeit; die Briefe sind das, was mich ausmacht.»

Der Roman bietet ein überraschendes Leseerlebnis, denn der Schreibstil ist eine gelungene Mischung aus Emotionen und Spannung. Er regt zum Nachdenken an – nicht nur über das eigene Leben, sondern auch über Beziehungen und darüber, was wirklich wichtig ist. Dennoch ist er weder romantisch, noch dramatisch. Es ist die Geschichte eines gelebten Lebens.

Fazit

Virginia Evans’ Debütroman ist absolut gelungen. Die Idee, die Geschichte einer Frau im Winter ihres Lebens in Briefform zu erzählen, ist originell und wurde toll umgesetzt. Mit Empathie und einem wunderbaren Gespür für sprachliche Feinheiten überzeugt die Erzählung. Eine überraschende und eindrückliche Lektüre, die noch eine Weile nachhallt.

Die Briefeschreiberin

Virginia Evans, Goldmann

Die Briefeschreiberin

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