Keiner wird um etwas bitten: Neue Geschichten

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Birgit von Domarus
801001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2025

Arabesken in einer zerstörten Welt.

Die seit über 3 Jahren täglichen Meldungen über Zerstörung und Tod in der Ukraine werden in den Erzählungen von Serhij Zhadan zu Bildern von Menschen, Städten, aber auch von der Natur, die fast unberührt von dem Geschehen weiter alles mit Leben füllt. Der originale Titel des Buches «Arabesken» erklärt die Struktur des Werkes. Kleine, scheinbar nicht miteinander verbundene Geschichten um die ersten Kriegstage wechseln sich ab mit Geschichten des weiteren Kriegsverlaufs und ranken sich mit den kleinteiligen Details durch das Geschehen bis es ein ausgefülltes Bild ergibt.

Die Helfer Gang

Ein Anruf, eine kurze Absprache und ein Transporter fährt durch die gespenstig leere Stadt, nur von wenigen Kontrollpunkten unterbrochen, um Menschen aus der Stadt zu evakuieren, Leichen abzuholen oder alleinlebende Kinder zu versorgen. Kurze prägnante Dialoge verleihen dem Geschehen eine Anspannung, die sich auf den Leser überträgt. Die Gefahr eines Raketeneinschlags oder anderer Angriffsmethoden ist überall. Nichts desto trotz sind die Helfer unermüdlich und trotzen den Gefahren. Nicht umsonst sind die beschriebenen Städte menschenleer, nur Vögel bleiben unbeeindruckt und ein Frühling ist auch in einer beschossenen Stadt ein Frühling. Eine alte Lehrerin, die nach einem Angriff tot in ihrer Wohnung liegt, wird für die Beerdigung abgeholt. Sie lag inmitten ihrer Bibliothek, die nun nie wieder gelesen wird, ein besonders tragischer Moment.

Die Gang der Helfer organisiert sich in beeindruckender Weise selbst. Sie sind mit ihrer Motivation ein hoffnungsvolles Zeichen gegen die Auflösung.

Abschiede

Der Krieg hinterlässt nicht nur die Spur der Vernichtung in den Städten. Die Beerdigung eines Kommandeurs wird, ohne dass der Autor beschreibt, wie er gefallen ist, zu einem Tribunal gegen den Krieg, indem er die Zurückbleibenden und ihre Reaktionen wie ein Seismograph aufnimmt. Es hat keiner die Fassung verloren, aber verloren wirken sie alle. Interessant beschrieben ist das Wechselspiel zwischen der Frau des Kommandeurs und seiner Geliebten, es geht nur um Blicke, die alles sagen.

Liebe

Auch das gibt es im Krieg, Liebe. Ein heruntergekommenes Hotelzimmer, in das sich ein Pärchen geflüchtet hat, sollte für eine Nacht das Kämpfen an der Front vergessen machen. Es ist nicht überraschend, dass es nicht gelingt. Sie konnten nicht umschalten von der Anspannung an der Front auf die Ruhe des Moments. Letztendlich haben sie die Nacht schlafend verbracht, ohne miteinander geschlafen zu haben.

Eine Hochzeit in diesen Zeiten ist ein Zeichen der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft. Aber das ist in dem Moment fragwürdig, in dem von den Gästen die Frage nach der Familie der Braut gestellt wurde. Der Bruder schickt als Glückwunsch das Bild eines Schweinekopfes und die Eltern wollten die besetzte Zone nicht verlassen. Hier ist auch der Konflikt innerhalb der Ukraine überdeutlich, wie gespalten dieses Land zumindest in bestimmten, jetzt von den Russen besetzten Gebieten ist.

Treue

Ein Lehrer schläft in der fast zerstörten Schule, weil die Schulleiterin, die selbst nach Prag geflüchtet ist, ihn mit der Aufsicht in der Schule beauftragt hat. Die fast skurrile Person des Lehrers, der trotz weiterer Einschläge in dieser Schule ausharrt, um Werte zu beschützen, die nicht mehr zu schützen sind. Er kann es nicht verstehen, wie man «Volksgut» und ein Klavier vernichten kann und wird in seiner starren Beschützerhaltung und Einsamkeit zu einer tragischen Figur.

Diese Geschichten sind alle sehr prägnant kurz gehalten mit nur wenigen Dialogen. Dafür detailversessene Beschreibungen der Stimmungen, Gesichter, Gerüche und letztendlich der Natur. Es gibt nie ein Ende und nie ein richtiger Anfang, der Leser ist sofort in der Geschichte und nach wenigen Seiten wieder raus, ohne zu wissen wie es ausgeht. Wie auch, die beschriebenen Menschen können heute schon tot sein. Es weiß heute auch keiner wie der Krieg ausgeht. Für jede Geschichte gibt es mehrere Zeichnungen, die meist zerstörte Architektur zeigen, fast wie dahingekritzelt, aber in dieser Flüchtigkeit besonders eindringlich.

Serhij Zhadan ist Jahrgang 1974 und in dem Gebiet um Luhansk geboren und lebt in Charkiw. Seine Bekanntheit erlangte er nicht nur durch zahlreiche Romane, Gedichtbände und Erzählungen. Er schrieb auch Songtexte für Musiker und hat Festivals und Musikveranstaltungen organisiert. Seit Mai 2024 ist er als Soldat an der Front.

Fazit

Es sind keine Erzählungen über eine schöne Welt, aber sie berichten von der Stärke die Menschen aufbringen können, wenn sie wissen wofür sie sie einsetzen. Und das ist wieder sehr schön.

 

Keiner wird um etwas bitten: Neue Geschichten

Serhij Zhadan, Suhrkamp

Keiner wird um etwas bitten: Neue Geschichten

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