Das weinrote Tagebuch

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  • Erschienen: Juli 2025
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Das weinrote Tagebuch
Das weinrote Tagebuch
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Monika Wenger
801001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2025

Ein literarisches Talent im Schatten des berühmten Bruders.

Kathleen Winter erzählt die Geschichte von Dorothy (Rotha) Wordsworths aus der Perspektive von James Dixon. Er hat Rotha, wie er sie nennt, zum ersten Mal im Alter von fünf Jahren aus der Ferne gesehen. Mittlerweile ist er in den Fünfzigern und hat sein ganzes Leben in den Dienst der Familie Wordsworth gestellt. Die Erzählung beschreibt die tiefe Verbundenheit zwischen Dorothy, ihrem Bruder William und James Dixon. Es ist auch die Geschichte einer Frau, die aussergewöhnliche literarische Fähigkeiten besass und unter den engen gesellschaftlichen Konventionen des 19. Jahrhunderts litt.

Ein Leben im Dienst der Wordsworths

William überträgt James immer mehr Arbeiten im und um das Haus und beauftragt ihn darüber hinaus, sich um seine Schwester zu kümmern. Gerade wenn William seinen geschäftlichen Verpflichtungen nachgeht und Dorothy ohne ihren Bruder auskommen muss, kämpft sie mit gesundheitlichen Problemen. Sie ist ihrem Bruder auf eine tiefe emotionale Weise verbunden und leidet unter der Trennung. Tatsächlich beschreibt William seine Schwester als empfindsam und labil. Insbesondere seit seiner Verheiratung mit seiner Jugendliebe Mary hat sich Dorothy sehr verändert. Für James sieht es eher so aus, als ob William keine Zeit für Dorothy hat oder haben will und sie zurückstösst. Deshalb übernimmt er die Rolle des Begleiters und Aufpassers. Und tatsächlich verstehen sich die beiden mit der Zeit ausgezeichnet. Sie unternehmen viele Ausflüge im Lake District, führen Gespräche und es scheint, als ob James ein Vertrauter für Dorothy wird. Obwohl ihm der Standesunterschied sehr wohl bewusst ist, geniesst er diese Zweisamkeit.

James erledigt viele Aufgaben für die Wordsworths in Rydal Lake. Auch weniger ehrenhafte. Auf Williams Geheiss liest er ihm aus Dorothys Tagebüchern vor. In diesen hält sie ihre Erinnerungen fest und beschreibt ihre Ausflüge in die Natur. Da William nicht über dieselbe Ausdruckskraft verfügt, nutzt er seine Schwester als Inspirationsquelle. Er übernimmt Texte aus ihren Tagebüchern, die er in seine Gedichte einbaut. Einzig das weinrote Tagebuch bleibt unangetastet.

Der Profiteur

Es ist eine fiktionale Biografie und gleichzeitig eine besondere Würdigung Dorothy Wordsworths. Als Schwester stand sie ihr Leben lang im Schatten ihres berühmten Bruders. Niemand hat ihr literarisches Können wirklich wahrgenommen und gewürdigt. Offensichtlich hat William von der literarischen Begabung seiner Schwester profitiert und sie für seine Zwecke genutzt. James formuliert es im Roman wie folgt:

«Wir ernteten die schwerelosen und goldenen Gedanken seiner Schwester. Er hatte nichts dergleichen in sich.»

Im Verlauf ihres Lebens litt Dorothy zunehmend unter psychischen und physischen Störungen. Es scheint, als hätten die engen Grenzen des 19. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen.

«Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, wie unbedeutend ich für andere bin.»

 Angepasste Sprache

Kathleen Winter hat sich intensiv mit dem Leben von Dorothy Wordsworth befasst. Mit diesem Roman ist ihr eine einfühlsame Rekonstruktion ihres Lebens gelungen. Die Autorin beleuchtet die gesellschaftlichen Einschränkungen für Frauen im 19. Jahrhundert auf anschauliche Weise. Der dem Zeitgeist angepasste Schreibstil fordert jedoch die ganze Aufmerksamkeit der Lesenden, denn die Geschichte wird fast ausschliesslich aus der Sicht von James Dixon erzählt. Dafür hat Kathleen Winter eine ungewöhnliche Rahmenhandlung geschaffen. James sitzt unter dem Bergahorn im Garten von Rydal Lake und blickt auf sein Leben zurück. Dieses Rückbesinnen und die Bienen als Zuhörer bewirken eine authentische und aussergewöhnliche Atmosphäre. Besonders gelungen ist Kathleen Winter das Finale. Denn am Schluss sind es Dorothy (Rotha) Wordsworths Tagebucheinträge, die ihr selbst eine Stimme geben. Dadurch erscheinen viele Ereignisse in einem anderen Licht, was dazu führt, dass sie neu bewertet und eingeordnet werden müssen.

Fazit

«Das weinrote Tagebuch» ist ein Leseerlebnis der besonderen Art. Es ist nicht nur die Sprache, die Kathleen Winter verwendet, sondern auch ihre Darstellung der Figuren und ihrer Umgebung. Sie zeigt Dorothys intellektuelle und kreative Kraft. Obwohl die Erzählung die volle Aufmerksamkeit einfordert, beschenkt sie die Lesenden mit einer interessanten fiktionalen Biografie.

Das weinrote Tagebuch

Kathleen Winter, btb

Das weinrote Tagebuch

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