Alles ist grün

  • New York: W. W. Norton, 1989, Titel: 'Girl with curious hair', Seiten: 373, Originalsprache
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011, Seiten: 272, Übersetzt: Ulrich Blumenbach, Bemerkung: Teilausgabe
Alles ist grün
Alles ist grün
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Britta Höhne
901001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2011

Logik begraben. Es lebe die lebhafte Sprache

Auf Freunde-Suchmaschinen wird gerne intellektuell geprotzt: Da wird Schach gespielt, klassische  Musik geliebt und selbstverständlich viel gelesen. Kafka macht viel her, Hesse wegen der Spiritualität und, um der Neuzeit, oder der post-Postmoderne gerecht zu werden, David Foster Wallace. Doch, wer sich in die Fänge des amerikanischen Wortkünstlers begibt, gibt entweder schnell auf – oder ist begeistert. Mit "Alles ist grün" sind die fünf "Storys" überschrieben, die eigentlich in den 1990 erschienenen Band "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" gehören. In der deutschen Ausgabe von 2001 allerdings fehlen die Geschichten. Jetzt sind sie – in einer großartigen, preisgekrönten Übersetzung von Ulrich Blumenbach – bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Auf den ersten Blick haben die fünf Geschichten nicht viel gemein. Sie variieren in den Längen zwischen nicht einmal drei und knapp zweihundert Seiten, lassen manchmal eine Form der Logik erkennen, aber oftmals auch nicht. Bei genauerer Betrachtung allerdings wird klar: Wallace hört konsequent vor dem Ende seiner Geschichten auf zu schreiben. Und, was sowohl ein stilistisches- als auch ein Mittel zur Verständigung sein kann: Er schreibt den Schreiber - also sich selbst - mit in den Text hinein.

Als besonders dramatisches offenes Ende erweist sich die Geschichte mit der stelzigen Überschrift: "Zum Glück verstand sich der Vertriebsrepräsentant auf HWL." Darin droht der Vice President einer Firma zu sterben und der Vertriebsrepräsentant versucht mittels einer Herz-Lungen-Massage den Sterbenden zu retten. Wallace beschreibt. Lässt den Leser mitleiden und erfahren, dass die Stirn des leidenden Mannes, "krötenweiß und krankhaft verzerrt" ist. Und sein Kinn "in der Fleischansammlung über der Kehle versunken" ist. Mitleid wird erzeugt – und doch erfährt zum Ende der Geschichte niemand, ob der Leid geplagte Vice President den Anfall in der Tiefgarage des Konzerns überlebt.

Der Autor gilt als Meister der Sprache. Eine Sprache, die jeglicher Langeweile und Konvention zu trotzen scheint. Mal mimt Wallace den Naturwissenschaftler, der eindrucksvoll Szenarien der Metafiktion beschreibt, um sich gleich im Anschluss daran wieder der Gossensprache hinzugeben. Mal vulgär, mal präzise – wie bei der Erklärung eines Elektroherds in "Hier und dort". Selbst ein einfacher Vogelschiss auf einer Autoscheibe wird bei Wallace zur sprachlichen Entdeckungsreise: "... En großer schwarzer Vogel ist durch den Rand meines Blickfelds gekurvt und hat, …, einen seltsamen, herrlichen Beerenregenbogen aus Guano mitten auf meine Windschutzscheibe fallen lassen... 

"Westwärts geht der Lauf des Weltreichs" ist die letzte und längste Geschichte des Buches. Die Konstellation des Plots ist kurios und komisch zu gleich: Ein erfolgreicher, schwammiger PR-Mann ist bemüht alle 44 000 Menschen, die jemals Fernsehwerbung für McDonald's gemacht haben, in einem Ort namens Collision in einem "Juxhaus" zu versammeln. Drei Studenten sind mit von der Partie und der Sohn des PR-Mannes, der versucht, die Gruppe mit einem selbst gebauten Auto - entlang der niemals endenden Maisfelder - zum Zielort zu bringen.

"Ich spezialisiere mich auf Sprachdichtung und die apokalyptisch kryptische Literatur der letzten Dinge, auf Erschöpfung im Allgemeinen sowie auf Metafiktion", erklärt Drew-Lynn Eberhardt, die im Verlauf der Geschichte nur noch D. L. heißt.

Sie schreibt Gedichte, die nur aus Zeichen bestehen und scheint in ihrer ganzen Schrägheit die Karikatur eines Wallace zu sein. So erstaunt es nicht, dass der Autor seiner "Postmodernistin" prophezeit, irgendwann den Vorsitz einer Werbeagentur zu übernehmen,  McDonald`s als größten Kunden zu akquirieren, während ihr Mann Mark Nechtr berauschende frittierte Rosenblüten isst und die Kunst des Bogenschießens vervollkommnet.

Angeblich, so steht in vielen Artikeln geschrieben, habe sich der Autor später von dieser Geschichte distanziert, die, was auffällig ist, in vielen Passagen von einer gewissen Verachtung der Menschen gegenüber zeugt. 

"Alles ist grün" verlangt dem Leser Zeit ab und zuweilen das Recherchieren diverser Wörter. Doch was bringt es, sich mit diesem Autor zu befassen, wenn seine "Storys" am Ende jeglicher Logik entbehren? Reicht reiche Sprache alleine aus, um ein Buch lesenswert zu machen? "Vielleicht", könnte eine Antwort lauten. Aber mal ehrlich: Schon der Versuch sich dem Kopfkino eines David Foster Wallace auszusetzen, verlangt nach mehr und stimmt zuweilen auch nachdenklich, weil interessante Gedanken in den "Storys" verborgen sind. Und sollten die interessanten Gedanken wirklich verborgen bleiben, macht es immer noch großen Spaß, sich der Wortvielfalt und dem Begriffsgerümpel des Autors auszusetzen.

David Foster Wallace hat sich 2008 im Alter von 46 Jahren in seinem Haus in Kalifornien das Leben genommen.  

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