Treibgut

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Carola Krauße-Reim
881001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2024

Menschen als Treibgut im familiären Ozean!

Adrienne Brodeur bewegt sich schon lange in der Buchbranche, doch „Treibgut“ ist nach ihren Memoiren „Wild Game: Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich“ ihr erstes fiktionales Buch. Angesiedelt hat sie die Handlung am Cape Cod, wo sie, neben Cambridge, mit ihrer Familie lebt.

Der 70. Geburtstag

Adam ist Meeresbiologe und wird bald 70. Das bedeutet nicht nur eine große Geburtstagsfeier, sondern auch das Ende seiner Laufbahn als Forscher und Dozent. Doch vorher will Adam unbedingt noch die Walgesänge entschlüsseln und setzt deshalb seine Medikamente ab – mit weitreichenden Folgen. Seine Kinder Ken und Abby musste Adam nach dem frühen Tod seiner Frau alleine großziehen. Abby ist als Künstlerin eher ein Freigeist. Sie steht gerade vor ihrem großen Durchbruch und entdeckt ausgerechnet jetzt, dass sie schwanger ist. Das stürzt sie in eine Identitätskrise. Ken dagegen scheint fest verankert in der Welt der Reichen am Cape Cod und auf dem besten Weg in die Politik. Doch in seiner scheinbar heilen Welt bröckelt die mühsam aufrecht erhaltene Fassade. Und dann taucht Steph auf, die niemand bis dahin kannte.

Grandiose Figurenzeichnung

Als Rahmenhandlung wählt Adrienne Brodeur die Vorbereitungen zu Adams Geburtstag. Doch die Planung und die anstehenden Arbeiten sind nur der Hintergrund, vor dem das eigentliche Drama stattfindet – verkörpert durch die sehr unterschiedlichen Figuren und ihre noch unterschiedlichere Wahrnehmung der Vergangenheit. Adam selbst hält sich für den perfekten alleinerziehenden Vater, der seinen Kindern alle Freiheiten zur Selbstentfaltung ließ; die Kinder sehen das, jedes für sich, vollkommen anders und auch in deren Beziehung scheint es unausgesprochene Vorwürfe und sogar Geheimnisse zu geben. Das alles entwickelt sich ganz langsam im Rahmen der Handlung, wird der Leserschaft durch die Gedanken und auch Aktionen offensichtlich.

Und dann kommt auch noch Steph ins Spiel, die ganz offensichtlich auch zur Familie gehört, obwohl ihr das erst durch Zufall klar wurde und die restliche Familie immer noch ahnungslos ist. Steph sieht die ganze Gemengelage aus einer außenstehenden und beinahe neutralen Position, die es ihr ermöglicht ohne historisch gewachsene Ressentiments die tatsächliche Lage der Familie zu betrachten. Alle diese Figuren hat Brodeur grandios gezeichnet und aus ihnen Charaktere geformt, die an die Geschichte fesseln. Immer wieder abwechselnde Perspektiven erhöhen die Spannung und machen das Lesen dieser an Handlung eigentlich relativ sparsamen Geschichte zu einem Lesevergnügen.

Dichte Atmosphäre

Es ist kein Roman, der an der Oberfläche schwimmt, er geht in die Tiefe, aber nie so sehr, dass es zu kompliziert wird. Zum hohen Unterhaltungswert trägt auch die Schilderung des Lebens auf Cape Cod bei. Zuerst ist da die unglaublich schöne Landschaft zu nennen, die sich auf der Atlantikseite anders darstellt als auf der Lagunenseite. Malerische Fischerorte, lange Strände, aber auch Wald, Künstlerkolonien und immer wieder Teiche machen klar, warum die hakenförmige Halbinsel bei Touristen und der Upperclass so beliebt ist. Die Menschenmassen fallen gerade in den Sommermonaten über das ansonsten recht verschlafene Cape her und lösen einen wahren Boom aus. Diese Atmosphäre fängt die Autorin meisterhaft ein, vielleicht auch, weil sie selbst dort lebt und den Gang der Jahreszeiten und Touristenströme aus eigener Erfahrung kennt.

Fazit

Ein Roman, der auf angenehm und packend zu lesende Weise dicke Bretter bohrt. Adrienne Brodeur hat trügerische Erinnerungen und eine toxische Familiendynamik so gekonnt verpackt, dass „Treibgut“ ein besonderes Lesevergnügen ist und Lust auf mehr von dieser Autorin macht.

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