Lil

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Carola Krauße-Reim
901001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2024

Eine Moral-Geschichte mit Humor.

New York 1880: Die reiche Erbin und erfolgreiche Unternehmerin Lillian Cutting ist eine unabhängige Frau, die wenig auf Konventionen und das herrschende Frauenbild gibt. Doch gerade dadurch hat sie sich mächtige Feinde gemacht – die „Erlauchten Vierhundert“ der New Yorker High Society gehören ebenso dazu wie ihr eigener Sohn Robert. Um an ihr Vermögen zu gelangen, lässt er Lil kurzerhand in das Sanatorium eines fragwürdigen und dennoch anerkannten Psychiaters stecken. Doch Lil wehrt sich und nimmt geschickt Rache.

Moral und Frauenbild

Der Österreicher Markus Gasser bohrt auf lediglich 238 ein ganz dickes Brett mit einer Vielzahl an Themen. Er zeichnet die dekadente New Yorker High Society im ausgehenden 19. Jahrhundert, nebst dem damit verbundenen Frauenbild; schildert die teilweise menschenverachtenden Auffassungen der Gesellschaft überhaupt und stellt gleich auch noch die Frage, wie man jemanden einfach spurlos verschwinden lassen kann ohne ihn gleich töten zu müssen. Was leicht zu einer Überforderung für den Text hätte führen können, wurde aber ein Themenpool, der einen ebenso kurzweiligen, wie kritischen Roman hervorbringt, wobei die Frage nach Moral und Anstand die gesamte Geschichte durchzieht.

 Sarah erzählt Miss Brontë die Geschichte 

Sarah ist Lils Enkelin mit vier „Ur“ voran. Sie lebt als Journalistin im New York unserer Zeit und auch sie ist gewissermaßen dem Gesundheitssystem ausgeliefert, erholt sie sich doch gerade von einer Hirntumorerkrankung. Markus Gasser lässt sie die Geschichte ihrer „Großmutter mit vierfachem <Ur> vorneweg“ ausgerechnet ihrer Hündin Miss Brontë erzählen, die sich nicht scheut, ihre eigene Meinung zu dem ganzen mitzuteilen. Was sich wie der Einstieg in ein Märchen anhört, ist aber ein geschickter Schachzug, der gleich schon einmal die groteske Situation des ganzen Geschehens einläutet. Aus dem persönlichen Sichtfeld heraus und dennoch auf sehr distanzierte Art wird hier eine tragische Geschichte erzählt, die aber dennoch mit viel Humor gewürzt ist. Die Abgründe einer Familientragödie inklusive allumfassender Rache, gepaart mit gesellschaftlicher Kritik und dem Fingerzeig auf die Rolle fragwürdiger Mediziner, werden in dem ungewöhnlichen Zwiegespräch wiedergegeben, das gerade durch die Distanz manchmal nicht einfach nachzuvollziehen ist. „Lil“ ist die Schilderung eines Frauenschicksals in den 1880 Jahren, gleichzeitig zeigt der Roman aber auch die zeitlose Frage nach Moral und gesellschaftlichen Umgang mit Mitmenschen generell auf.

Auch die Charaktere wahren Distanz

In „Lil“ muss viel zwischen den Zeilen gelesen werden. Wenig wird direkt geschildert, viel lediglich angedeutet. Selbst die Figuren wahren ihre Distanz zur Leserschaft. Alle werden nur durch Sarahs Erzählung charakterisiert und auch Sarah selbst bleibt immer etwas nebulös. Warum Robert zum missratenen Sohn wurde, der seine Mutter vernichten will und seine Frau schändlich behandelt, ist nicht direkt zu sehen. Nur diverse Äußerungen lassen erahnen, was die Auslöser gewesen sein könnten. Auch Lillian ist nie ganz zu fassen. Zwar wird ihre Unabhängigkeit in Denken und Taten immer deutlicher, doch auf eine tiefgreifende und gezielt ausgeführte Charakterisierung muss man verzichten. So geht es auch bei den übrigen Figuren, die vom arrogant-egozentrischen Psychologen über auf das Äußerste angepasste Frauen bis hin zu den moralisch verwerflichen Ausgeburten der High Society reichen. Dennoch tragen diese Figuren, wie auch der ungewöhnliche Stil den Roman.

Fazit

Ein überaus lesenswerter Roman! Die Frage nach Moral und die Hinterfragung gesellschaftlicher Normen ist trotz des anspruchsvollen Stils und der distanzierten Figurenzeichnung kurzweilig und regelrecht spannend. Die Geschichte erscheint viel zu kurz und zu gerne würde man mehr von der unabhängigen Lil erfahren, die nichts auf Konventionen gab und ihr Leben gerne als „Lil the Kill“ führte.

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