Die Kinder des Don Arrigo

Die Kinder des Don Arrigo
Die Kinder des Don Arrigo
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Julian Hübecker
771001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2023

Gekonnt wird mit den Emotionen gespielt, ohne an Leichtigkeit zu verlieren.

Natan muss aus Berlin fliehen: Die Braunhemden nehmen erst seinen Vater mit und brauchen nicht mehr lange, um auch die restliche Familie zu holen. Zum Glück kann für Natan ein Transport aus dem Deutschen Reich heraus organisiert werden. Es verschlägt ihn bis nach Italien, wo er in einem kleinen Dorf unterkommt. Doch auch hier ist der Krieg - und damit der Faschismus - längst angelangt. Ein neuer Plan muss her …

„Unsere einzige Verteidigung ist die Flucht, und fliehen ist keine Frage der Geschwindigkeit, sondern des Vorsprungs.“

Für Natan geht alles ganz schnell: Kaum sind die Braunhemden an der Macht, wird auch schon sein Vater aus der Wohnung gezerrt und irgendwo hingeschleppt. Natans Mutter versucht verzweifelt, sich mit ihren beiden Söhnen zu verstecken, muss aber wiederholt die Unterschlüpfe verlassen, weil es nicht sicher bleibt. Eines Tages klopft es zaghaft an der Tür. Die Braunhemden können es nicht sein; ihre schweren Stiefel hört man schon von Weitem. Stattdessen steht eine Frau im Treppenhaus und bietet an, ihren ältesten Sohn, Natan, außer Landes zu bringen. Dort solle er in Sicherheit sein …

Wie sich herausstellt, ist Natan nicht das einzige Kind, das zu fliehen versucht. Dutzende werden über Züge erst nach Kroatien, dann nach Italien gebracht. Hier, im kleinen Dorf Nonantola, finden sie in der Villa Emma Schutz und Obdach. Das Trauma und der Schrecken sitzen tief, doch zumindest haben sie einander. Die Kinder lauschen gebannt Klaviermusik, spielen draußen Fußball und rangeln miteinander. Natan, der eher still ist, beobachtet lieber seine Umgebung und versucht alles aufzunehmen. Vielmehr jedoch möchte er all die Namen behalten, die unvergessen bleiben sollen: Joško, Schoky, Boris, Don Arrigo, Giuseppe Moreali und Recha Freier – um nur einige zu nennen.

So hofft die Gemeinschaft, den Krieg im Herzen von Italien aussitzen zu können. Doch auch hier greift der Faschismus um sich, und die Braunhemden ziehen ihr Netz immer enger …

Ein Tatsachenroman mit erfundenem Protagonisten

Der italienische Autor Ivan Sciapeconi ist in seiner Heimat für seine Kinderbücher bekannt, wagt sich aber nun erstmals an einen Erwachsenenroman. Dass er sich ausgerechnet für so ein schweres Thema entschieden hat, hängt mit seiner Begeisterung für Geschichte zusammen. Die Wahl ist dabei gut getroffen: Denn Sciapeconi schreibt mit einer Leichtigkeit, die die eigentliche Schwere der Thematik schnell vergessen lässt. Dennoch arbeitet er dramaturgisch mit Emotionen, die tief ins Herz gehen und berühren. Mit kurzen Sätzen, auflockernden Witzen und kleinen Rückblenden liest sich das Buch dynamisch und vor allem schnell – die knapp 200 Seiten sind alsbald beendet.

Interessanterweise ist Natan selbst frei erfunden. Möglicherweise kommt es daher, dass er als Protagonist nur schwer zu greifen ist. Er bleibt lange Zeit sehr unpersönlich und will nicht so recht in die Geschichte passen. Im Nachwort des Autors ist vermerkt, dass er stark an den Tagebüchern eines anderen Flüchtlingskinds, Sonja Borus, angelehnt ist, die auch in der Villa Emma Zuflucht gefunden hat. Sie selbst hat kleinere Auftritte in der Geschichte und wirkt dabei beständiger als Natan. Warum der Autor eine Person neu erfunden hat, obwohl Material für ein real existierendes Mädchen vorhanden war, kann man nur mutmaßen. Sonja selbst – so die Andeutung im Roman – hat den Verlust ihrer Familie psychisch nicht gut verkraftet. Vielleicht wollte der Autor der Geschichte die zusätzliche Schwere nehmen, die sie aufgrund des Themas sowieso schon hat.

Fazit

Ein Tatsachenroman, der viele Emotionen weckt und dennoch mit Leichtigkeit zu lesen ist. Ein Volltreffer, obwohl der Protagonist Natan keinen Platz in der Geschichte finden will.

Die Kinder des Don Arrigo

Ivan Sciapeconi, Ullstein

Die Kinder des Don Arrigo

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