Der Garten aus Glas

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Carola Krauße-Reim
601001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2023

Eine forderndeLektüre

Moldawien vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion: Die 7-jährige Lastotschka lebt in einem Waisenhaus, bevor sie zur Flaschensammlerin Tamara Pawlowna kommt. Sie wächst weiterhin in Armut auf und wird jahrelang als billige Hilfskraft missbraucht. Doch sie schafft den Absprung, studiert und wird Chefärztin. Aber ihre lieblose Kindheit ist tief in ihr verborgen und die Frauen, mit denen sie aufwuchs, prägen sie noch heute. In Gedanken kehrt sie zurück in den Hof nach Chişnău und durchlebt noch einmal die Trostlosigkeit ihrer Jugend.

Eine Autorin aus der Republik Moldau

Tatiana Ţîbuleac wurde 1978 in Chişnău geboren, der Hauptstadt der Republik Moldau, die bis zu ihrer Gründung 1991 als Moldawien zur Sowjetunion gehörte. Ţîbuleac studierte Journalismus und Kommunikation und arbeitete als Journalistin in Chişnău, bevor sie 2008 nach Paris zog. Ihr erster Roman „Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte“ erschien 2017, wurde gleich in mehrere Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. 2018 wurde ihr zweiter Roman im Original veröffentlicht, der nun endlich und ebenfalls von Ernest Wichner übersetzt, in Deutschland erscheint. In ihren Werken thematisiert Ţîbuleac die gesellschaftlichen Probleme ihrer Heimat anhand von lieblos aufwachsenden Kindern und rückt damit die relativ unbekannte kleine Republik zwischen Rumänien und der Ukraine ins Blickfeld.

Hier geht es ans Eingemachte

Die Lebensgeschichte von Lastotschka, der Schwalbe, ist nur schwer zu ertragen. Ohne jede Sentimentalität und schonungslos offen, erzählt die Autorin von einem Dasein ohne Liebe, dafür aber voll von Brutalität, Hoffnungslosigkeit und Rivalität. Tamara Pawlowna prügelt quasi das Russische in das moldawisch sprechende Mädchen hinein und lässt sie in jeder Witterung Flaschen sammeln: „Schönheit und Licht habe ich nur selten gesehen“. Dieses trostlose Leben verlangt viel von Lastotschka aber auch von der Leserschaft. Es ist grauenvoll von der vollkommenen Lieblosigkeit überall und dem brutal vorherrschenden Patriarchat zu lesen, das in einer Vergewaltigung und kompletter Unterwerfung als Ehefrau endet: „Waschen, Essen, ins Bett gehen: Das musste eine Frau können … Wirst du geschlagen – knetest du eben eine Schokoladenwurst. Gebierst du ein krankes Kind – bestickst du ein Taschentuch im Kreuzstich“. Nur durch Betrug und dem Wunsch der Pawlowna sich zu präsentieren, schafft es Lastotschka auszubrechen. Doch selbst als Chefärztin ist sie ein kaputter Mensch – alkoholsüchtig und völlig überfordert von einer Tochter mit Glasknochenkrankheit muss sie alleine zurechtkommen, denn ihr Ehemann ist einfach auf und davon.

Keine linear erzählte Geschichte

Eine Lebensgeschichte kann von A bis Z ganz einfach und eingänglich erzählt werden. Doch Tatiana Ţîbuleac macht das nicht. Immer wieder springt sie zeitlich und räumlich hin und her und verlangt damit sehr viel Aufmerksamkeit beim Lesen. Manche Kapitel scheinen davon zudem völlig losgelöst zu sein und machen die Lektüre noch zusätzlich anspruchsvoll. Außerdem erzählt Lastotschka ihr Leben aus ihrer Perspektive und verzichtet damit fast vollständig auf Dialoge, was den Roman eher zu einem Bericht macht. Der bildreiche, aber sehr anspruchsvolle Stil verlangt zusätzliche Aufmerksamkeit, fesselt aber auch immer wieder. Jedoch sollte man sich bewusst sein, dass die Geschichte sehr düster ist und regelrecht depressiv machen kann, denn es gibt fast keinen Lichtblick. Und so muss man mit Sätzen, wie „Was bleibt von einem alleinstehenden Menschen?  Nicht einmal ein Duft wie von einer Blume“ oder „Ich ziehe mir die Haut aus und sehe nur Scherben“ oder auch „Ich wünschte mir, der Tag möge verschwinden oder ich – Letzteres wollte ich schon lange“ zurechtkommen.

Fazit

Ein Coming of Age der anderen Art. Brutal unsentimental, sprachgewaltig und deprimierend offen erzählt Tatiana Ţîbuleac die Geschichte von Lastotschka. Eindeutig kein Feelgood-Roman, aber dennoch lesenswert, auch wenn er sehr hohe Ansprüche an die Leserschaft stellt.

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