Glücklich begraben?
Olivia Benteles Leben ist eigentlich schon bewegt genug: Ihre Patienten halten die Psychotherapeutin im besten Alter auf Trab, ihr Ex Georg ist wahnsinnig anstrengend, die Beziehung zu dessen Kind Lilly könnte besser sein, und ihre beste Freundin Conny entfremdet sich nicht nur von ihrem deutlich älteren Ehemann und Exprofessor Heiko, sondern hat auch noch alle Hände voll zu tun mit dem Hauskauf auf dem Lande, den ihre Tochter Camilla gerade mit Mann Arne plant. Dann klopft aber plötzlich ein unverschämt attraktiver Herr in schwarzer Kutte bei ihr, der sich scheinbar in der Tür geirrt hat. Kurz darauf wird die ältere Nachbarin von oben tot in ihrer Wohnung gefunden. Weitere seltsame Zwischenfälle häufen sich. Was geht da vor?
Bald erhält Olivia wieder Besuch von dem geheimnisvollen Fremden, der sich ihr als Zino Angelopoulos vorstellt – seines Zeichens Thanatos, einer der Todesgötter der griechischen Antike. Diese bestehen aus einer großen Familie, die eine effiziente Aufgabenteilung betreiben. Zinos Job ist es, den Seelen, die kurz vor ihrem Tode stehen, Frieden zu schenken und ihnen einen möglichst sanften Übergang in die Unterwelt zu ermöglichen. Doch nach mittlerweile einer halben Ewigkeit (wortwörtlich) ist Zino seines Berufes überdrüssig und greift immer öfter zum Alkohol. Olivia soll ihn therapeutisch unterstützen. Auch wenn sie ihm zunächst nicht glaubt – und wahrlich genug anderes zu tun hat – frisst sie einen Narren an dem mit seinem Schicksal hadernden Gott, und kommt so mit existentiellen Fragen in Berührung, die sie bisher aus ihrem Leben ausgeklammert hat. Doch bald schon muss sie Zinos Besuch in einem anderen Licht sehen – als er ihr nämlich durch die Blume eröffnet, dass sie selbst auf seiner Liste steht …
„Ihr alle wisst, dass ihr nicht ewig leben werdet. Trotzdem überrascht es euch maßlos. Alle tun so, als hätten sie sämtliche Zeit der Welt. Nur ganz selten kommt jemand auf die Idee, dass ihm eine blöde tödliche Krankheit oder ein dummer Zufall einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Und dann heißt es: Oh, das ist ja eine Ironie des Schicksals. Dabei handelt es sich nur um die völlig unironische Unberechenbarkeit des Lebens. Du kannst steinalt werden und dabei Zehntausende von Tagen versauen. Du kannst aber auch die drei Tage, die dir noch bleiben, so genießen, als wären sie ein ganzes Leben wert“
Hans Rath (Jahrgang 1965) verließ seine ländliche Heimat Straelen, um Philosophie, Germanistik und Psychologie zu studieren. Nach diversen Tätigkeiten in den verschiedensten Bereichen ergatterte er eine Stelle im mittleren Management eines großen Zeitungsverlages, bevor er irgendwann beschloss, sich stattdessen als Autor zu versuchen. Seitdem hat er erfolgreich viele Drehbücher, Buchreihen und Romane wie Im nächsten Leben wird alles besser, Halb so wild und Die Kunst der Beleidung (mit-)verfasst. Auch in seinem aktuellsten Buch Jetzt ist Sense erzählt er wieder eine lebenskluge Geschichte mit übernatürlichem Einschlag, der er dank seiner im Studium erworbenen Kenntnisse einen psychologischen und philosophischen Anstrich verleiht.
„Besonders am Ende muss man das Leben wohl mit Humor nehmen“
Raths Plot liest sich locker-leicht daher, und sein Stil mischt sehr gut trockenen Humor mit lebensnahen Weisheiten. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr wird sie unterfüttert von den großen Fragen, die wir alle uns im Leben irgendwann stellen: Warum tue ich, was ich tue? Wieviel Zeit bleibt mir noch, und was fange ich damit an? Wie können wir unserer eigenen Sterblichkeit ins Auge sehen und dennoch das Beste aus unserem Leben herausholen? Können wir unser Schicksal selbst gestalten, oder sind wir nur dessen Spielball? Stellvertretend für uns stellt sich ein Ensemble sympathischer (oder zumindest ansatzweise interessanter) Figuren diese(n) Fragen in ihrer eigenen Konfrontation mit Zino/Thanatos. Schon die clevere Covergestaltung, welche in auf Edward Hoppers „Nighthawks“ anspielender Manier einen gebeutelten Gevatter Tod bei einem einsamen Drink zeigt, lädt zum ungezwungenen Zwiegespräch mit dem „freundlichen Sensenmann von nebenan“ ein.
Leider entgleitet dem Autor seine knackige Prämisse immer wieder. So braucht die Kernstory sehr lange, um überhaupt in die Gänge zu kommen, und verliert sich häufig in den diversen, zu breit gewalzten Nebenhandlungen. Was ein augenzwinkerndes, tiefblickendes Kammerspiel über den Tod im Therapiezimmer hätte werden können, fasert so ein wenig aus im Versuch, zu viele lebensbejahende Ansätze als darüber hinaus auch noch Motive aus der griechischen Mythologie mit einzuweben, und driftet im leicht melodramatischen Finale in Klischees ab. Nur Raths charmantem Stil ist es zu verdanken, dass die Aufmerksamkeit der Leserschaft von Anfang bis Ende gehalten werden kann.
Fazit
Raths Romanverhebt sich ein wenig, da er mehr sein will, als er ist, wodurch viele gute Ansätze nicht konsequent genug durchgespielt werden können; mit etwas Fokus und Feinschliff hätte sich aus der Geschichte deutlich mehr herausholen lassen. Als leicht verdaulich philosophische, humorvoll und unterhaltsam geschriebene Urlaubslektüre macht sich Jetzt ist Sense aber sehr gut. Wer schon immer mal dem Tod ins Gesicht blicken wollte, ohne selbst über die Klinge zu springen, darf also durchaus zugreifen!
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