Offene Gewässer

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Monika Wenger
751001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2023

Ein Leben lang die Fremde geblieben

Elfi lebt in einem Kinderheim in Stuttgart. Sie ist ein unangepasstes Mädchen. Eine Schelmin und für jeden Streich zu haben. Nach einem Besuch nimmt die Grossmutter Elfi zu sich ins österreichische Liebstatt am See. Trotz guter Absichten, lösen sich diese im Alltag schon bald in Rauch auf. «Ich bewunderte, mit welcher Geduld sie meinen zahlreich geäusserten Wünschen rasch und kommentarlos nachkam, wir beide wussten unausgesprochen, dass diese Phase auch zeitnah wieder zu einem Ende finden würde, zu wenig entsprach jene Dienstbarkeit ihrem eigentlichen Naturell, ein imponierender Kraftakt für die Grossmutter, weshalb ich noch eine Spur dankbarer war.»

Sie ist und bleibt eine Zugereiste

Sehr früh erkennt Elfi, dass sie, trotz ihren teils genialen Einfällen und Strategien, eine Aussenseiterin bleiben wird. Hinter ihrem Rücken wird getuschelt und Mutmassungen angestellt. Selbst die Grossmutter legt unter dem Druck der Dorfgemeinschaft ein verändertes Verhalten an den Tag.

Sobald es ihr möglich ist, zieht Elfi weg aus dem Ort. Erst viele Jahre später kehrt sie, inzwischen wohlhabend, zurück in ein Haus mit direktem Seeanschluss. Mit Bedauern stellt Elfi fest, dass sich die Zeiten überhaupt nicht geändert haben. Sie bleibt die Aussenseiterin, die die Dorfbewohner nur allzu gerne wieder vertreiben möchten.

Zugehörigkeit und Anerkennung

Romina Pleschko beschreibt in ihrem Roman die verzweifelten Versuche eines Mädchens, das in die Dorfgemeinschaft aufgenommen werden möchte. Weder der Beitritt zum Schwimmverein, noch andere Bemühungen zeigen Erfolg. Sie ist und bleibt eine Fremde, eine Zugereiste. Selbst die Großmutter verhält sich ihr gegenüber gefühllos und streng. Das Ansehen ist wichtiger als die Enkelin, obwohl sie das Kind bewusst aus dem Heim geholt hat. Diese Lieblosigkeit und ihr Egoismus sind erschütternd.

Romina Pleschkos Wortakrobatik und Witz überspielen die Tragik in Elfis Leben. Die vielen Schachtelsätze mit teils erschütternden Aussagen machen das Lesen nicht leicht, verstärken jedoch auf erschreckende Weise das Gesamtbild. Im ersten Teil des Romans, der mit «Liebstatt» betitelt ist, sind die verzweifelten Versuche Elfis nach Wahrnehmung und Anerkennung spürbar. Hier sind viel Sprachwitz und Situationskomik eingebaut. Der zweite Teil, der «Statt Lieb» heisst, kommt sprachlich verändert daher. Geblieben sind die Schachtelsätze und ein gewisser Sarkasmus. Elfi, als Ich-Erzählerin, legt im Erwachsenenleben eine erworbene Distanz zu den Menschen und dem Geschehen an den Tag. Sie wirkt abgebrühter – das ist deutlich spürbar. Nicht verloren hat sie das Schelmenhafte und den Drang zum Widerstand.

Fazit

Ein Roman mit viel Witz und Ironie, der aber nicht über die Tragik im Leben der Hauptfigur hinwegtäuscht. Auch wenn das Ganze sprachlich etwas sperrig wirkt, ist es eine vergnügliche Geschichte mit einem traurigen Beigeschmack.

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