Die geheimste Erinnerung der Menschen

Die geheimste Erinnerung der Menschen
Die geheimste Erinnerung der Menschen
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Carola Krauße-Reim
901001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2023

Ein forderndes aber großartiges Literaturerlebnis

Der junge afrikanische Literaturwissenschaftler und Autor Diégane Latyr Faye erfährt von dem Buch „Das Labyrinth des Menschen“, das in den 1930er Jahren erschien. Doch nach einem Skandal und rassistischen Repressionen verschwand sein Verfasser, der „schwarze Rimbaud“, T.C. Elimane spurlos und mit ihm sein Werk, das aus dem literarischen Gedächtnis vollkommen verband wurde. Diégane macht sich auf die Suche nach Elimane und seiner Geschichte.

Mohamed Mbougar Sarr

Mohamed Mbougar Sarr stammt aus dem Senegal, wo er 1990 als ältester von sieben Söhnen geboren wurde. Bereits 2014 verfasste er seinen ersten Roman „La cale“ („Der Keil“), der gleich mit einem renommierten Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Auch seine folgenden Veröffentlichungen fanden großen Anklang bei den Kritikern und erhielten diverse Auszeichnungen. 2022 erschien sein neuster Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ in Deutschland. Auch dieses Werk befasst sich mit postkolonialen Problemen und politischen Themen. Sarr wurde auch hierfür begeistert gefeiert und erhielt die größte literarische Auszeichnung Frankreichs, den Prix Goncourt, mit überwältigenden 6 von 10 Stimmen aus der Jury.

Eine Suche mit vielen Mitteln

Sarr begrenzt sich nicht auf eine eindimensionale Erzählung. Er verbindet in der Suche Diéganes nach Elimane ganz unterschiedliche Perspektiven und literarische Formen. In narrativen Phasen, Briefen, Interviews, Tagebucheintragungen, Zeitungsartikeln und sogar einem Buch im Buch lässt er ganz unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen, die Diégane auf seine Suche unterstützen oder begleiten. Doch der Stil ist fordernd und das nicht nur, weil Sarr Literaturwissen bei der Leserschaft voraussetzt. Er schreibt auf höchstem sprachlichen Niveau, was das Buch definitiv nicht zu einer Lektüre für zwischendurch macht. Man muss sich auf diesen Stil einlassen und sich Zeit nehmen um in das Geschehen einzutauchen. Das wiederum entpuppt sich als extrem spannende Suche nach einem Autor und seinem umstrittenen Werk.

Postkolonialismus und Literaturkritik

Es scheint unabdingbar, dass ein afrikanischer Autor den Kolonialismus und seine Folgen anspricht. Doch Sarr tut das nicht anklagend, sondern zeigt, dass es auch ein Postkoloniales Problem ist, wenn Afrikaner die Lebensweise ihrer ehemaligen Kolonialherren ersehnen. Die Folgen der Fremdherrschaft können mannigfaltig sein. Neben der Suche nach Elimane und dem Postkolonialismus packt Sarr noch ein weiteres Thema in das Buch – Kritik am Literaturbetrieb. Sarr hat nun eigentlich wirklich keine Probleme mit den Kritiker, doch sieht er ihre Macht. Sie können ein Buch und damit vielleicht die Existenz eines Autors mit wenigen Mitteln völlig zerstören. Und so wird Diégane von einem Freund angewiesen: „Ein bedeutendes Buch hat kein Thema und spricht von nichts, es versucht einfach nur, etwas auszudrücken oder zu entdecken, aber dieses „einfach“ ist schon alles, und dieses „etwas“ ebenso“(S. 48). Oder man kann auf Seite 65 lesen: „ … das subjektive Geschmacksurteile das einzige Unterscheidungskriterium bildeten und es daher keine schlechten Bücher gebe, nur Bücher, die man nicht möge. … Alte Kritikpunkte, die Faustin Sanza souverän erneuerte. Natürlich ließ man ihn nicht ungeschoren; die Beteiligten schlugen prompt und hart zurück. Elitär! Verbittert! Intolerant! Snob! Reduktionist! Faschist! Intellektueller! Witzfigur! Neidhammel! Verkopft! Heuchler!“ Und im Epilog stellt der Autor ganz nüchtern und wenig illusionierend fest: „ … Vielleicht trug er nur ein einziges Werk in sich, ein einziges großes Werk. Es könnte sein, dass jeder Schriftsteller nur ein grundlegendes Buch in sich trägt, das er zwischen zwei Leerstellen schrieben muss.“ Eigentlich hat Sarr schon das Gegenteil bewiesen, denn seine Bücher waren alle grundlegend und Leerstellen gab es bei ihm bis jetzt zum Glück nicht.

Fazit

Ein Buch, das fesselt und fordert zugleich. In virtuoser Sprache erzählt Mohamed Mbougar Sarr die Suche nach einem Autor und verbindet dabei hochaktuelle Themen. Das Buch beansprucht die Leserschaft, braucht Zeit und ist dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, ein ganz herausragendes und großartiges Buch!

Die geheimste Erinnerung der Menschen

Mohamed Mbougar Sarr, Carl Hanser

Die geheimste Erinnerung der Menschen

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