Zwischen Welten

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Monika Wenger
951001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2023

E-Mail und Messenger als Plattform für Streitgespräche gegensätzlicher Welten

Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Theresa ihr Studium in Münster aufgegeben hat und sang- und klanglos aus der WG und aus Stefans Leben verschwunden ist. Nun sind sich die beiden überraschend in Hamburg über den Weg gelaufen. Aber sie haben sich am Ende des Abends gezofft und sind im Streit auseinander gegangen. Nach diesem misslungenen Wiedersehen macht Theresa Stefan ein Friedensangebot. Sie könnten sich doch gerne per E-Mail oder WhatsApp austauschen und aus ihrem Leben berichten, sich vielleicht wieder näherkommen – zwanzig Jahre überbrücken.

Gegensätze

Theresa ist nach Abbruch des Studiums nach Brandenburg zurückgekehrt und hat den elterlichen Hof übernommen. Aktuell kämpft sie um das Überleben des Betriebs. Die gesetzlichen Auflagen, die politischen Entscheide und die fehlenden finanziellen Mittel machen ihr und ihren Angestellten das Leben schwer.

Stefan hat sein Germanistik-Studium abgeschlossen und ist stetig auf der Karriereleiter nach oben geklettert. Nun ist er Ressortleiter und stellvertretender Chefredakteur einer Hamburger Wochenzeitung. Sein Tag und seine Probleme stehen in krassem Gegensatz zu Theresas Alltag. Für ihn sind Themen wie die Einhaltung und das Einfordern von sprachlichen Normen in Bezug auf Minderheiten extrem wichtig. Er verwendet in seinen Textnachrichten an Theresa konsequent das Gender-Sternchen und macht sie damit halb wahnsinnig. «Ich als Frau kann dir sagen: Die Emanzipation hat mehr gekostet als ein Sternchen und wird es weiterhin tun. Zu glauben, man könne mit ein bisschen modischer Sprachkosmetik jahrtausendealte Probleme lösen, zeugt bestenfalls von gewaltiger Weltferne.»

Harte Kost und leichte Ablenkungsmanöver

Die gegenseitigen Nachrichten sind zeitweise mit happigen Aussagen gespickt. Da kann es schon mal vorkommen, dass Theresa Stefan beschuldigt, er lebe in einer „Blase“ und habe keinen Bezug zur Wirklichkeit. Seine Anteilnahme an ihren Problemen hält sich in Grenzen. Ganz auf die Veränderungen im Verlag konzentriert, verpasst er Theresas Entwicklung zur Aktivistin.

Lange Zeit bleibt ungewiss, ob sich die beiden Streithähne überhaupt wieder näherkommen, ob sie sich wieder finden können. Gewisse Themen beinhalten Konfliktpotenzial und lassen die Schreibenden ruhen. Sie gehen offline. Eine Versöhnung erfolgt in der Regel ohne Bereinigung des Konflikts. Es wird zur Tagesordnung übergegangen. Bis zur nächsten Eskalation.

Exakt diese Gegensätze prägen den Roman von Juli Zeh und Simon Urban. Da geht es um Stadt und Land, um Ost und West, um Alt und Jung. Und die heutigen Topthemen spielen eine wichtige Rolle: Political correctness, Gendern, Social-Media. Die Politik und ihre Auswirkungen werden genauso behandelt, wie die Auflösung der ehemaligen Genossenschaften im Osten Deutschlands. Ausdrucksstark und mit politischen Inhalten gespickt, kritisiert das Autorenduo die Gesellschaft. „[…] dass moralische Forderungen in unserem Diskurs die interessengeleiteten Forderungen immer stärker verdrängen. Einfacher gesagt: Die Leute regen sich nicht mehr darüber auf, dass sie nicht bekommen, was sie wollen, sondern darüber, was jemand anderes gesagt hat. Und das widerspricht dem Grundgedanken der Demokratie.“

Die elektronische Korrespondenz als Romanform ist klug gewählt. Sie verstärkt dessen Aussagekraft um ein Vielfaches. Wunderbar, dass die beiden Autoren eine Einheit bilden – das Gesamtwerk ist gelungen und steht für eine gute Streitkultur im Allgemeinen.

Fazit

Aufrüttelnd und bewegend zugleich, fokussiert sich das Buch auf topaktuelle Themen der Gesellschaft – einschließlich Social-Media. Ein kluger, aber auch sehr nachdenklich stimmender Roman, der für Meinungsvielfalt und eine gute Debattenkultur steht.

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