Bis der Fluss taut

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  • Erschienen: Dezember 2022
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André C. Schmechta
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Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2023

Ein kleines Tagebüchlein und ein schwergewichtiges Thema

Eine junge Frau tauscht ihr urbanes Leben gegen die Abgeschiedenheit in den Wäldern Kanadas. In Kamouraska bezieht sie eine einsam gelegene Hütte, arrangiert sich mit Wildnis und Natur. Bis es dann doch ungemütlich und auch nicht gerade ungefährlich wird. Eisige Kälte und Schnee schneiden sie von der Außenwelt ab. In dieser Zeit beschließt sie Tagebuch zu führen und erzählt von den beschwerlichen Ereignissen und einer besonderen Begegnung.

Schützenswerte Natur

Knapp 110 Seiten - einige unbedruckt und bei anderen schmückende schlichte Zeichnungen - ergeben eine überaus überschaubare Netto-Lesezeit. Dennoch gelingt es Gabrielle Filteau-Chiba, ein wenig von der besonderen Atmosphäre in der Wildnis einzufangen und das zurückgezogene, einfache Leben in der Hütte mit Details auszufüllen.

Hier auf sich allein gestellt, wirft die Protagonistin Anouk einen Blick zurück auf Ihr bisheriges Leben in der für sie nicht mehr lebenswerten Zivilisation. Ihre Verdrossenheit gegenüber Konsum, Verschwendung, Umweltverschmutzung, Profit orientierten Unternehmen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und viele für sie nicht mehr akzeptablen persönlichen Lebensumstände bleiben dann aber in der Kürze weitestgehend oberflächlich formuliert, Anouks Motivation diesem Leben nun den Rücken zu kehren erscheint darin noch wenig drängend. Dennoch bilden sie den gewünschten Kontrast zum Leben im Einklang mit Natur und Tier.

Wir wandeln fortan zwischen stimmungsvollen Naturbildern, einigen feinfühligen und symbolischen Momenten, aber daneben auch viel konstruiert anmutenden, feingeschliffenen und abgeklärten Gedankengängen. Als „Tagebuch aus der Wildnis“ untertitelt, fällt mir diese Vorstellung dann doch schwer. Da passen schon besser die gelegentlichen an sich selbst gerichteten Listen mit ebenso humorvollen, wie zynischen Hinweisen für ein möglicherweise längeren oder weiteren Aufenthalt in entsprechendem Umfeld.

Dann wird die Einsamkeit schließlich doch noch aufgebrochen. Anouk bleibt nicht allein. Und damit endet auch das eher ausgewogene und kompakt erzählte Wechselspiel zwischen den beiden extremen Lebensweisen. Die dringende Notwendigkeit, deutlich mehr für den Schutz der Wälder Kanadas zu unternehmen, klang zuvor zwar immer wieder durch, bestimmt aber nun im letzten Drittel des Buches gänzlich den inhaltlichen Fokus und wird zum Ende noch unnötig zugespitzt.

Fazit

Das Tagebuch über einen besonderen Lebensabschnitt einer Frau, die sich von der Zivilisation abkehrt, um einen neuen Lebensfokus zu finden, ist am Ende für mich ein leider nicht durchweg geglückter kleiner Roman mit zu einfach und konturlos eingearbeitetem Appell für mehr aktiven Einsatz bei Umwelt- und Naturschutz. Bleibt das Leben in den Wäldern Kanadas auf den wenigen Seiten zwar mit schönen Worten unterhaltsam, aber dennoch wenig mitreißend erzählt, so kann Gabrielle Filteau-Chiba den für eine kritische Auseinandersetzung bedeutsamen Aspekten des zentralen und drängenden Themas, auf das sie am Ende hinsteuert, in der Kürze des Buches nur ungenügend Raum und unzureichende Tiefe verleihen. Manches gerät mir dabei deutlich realitätsfern, gar moralisch fragwürdig und lässt mich damit doch eher irritiert in den sicherlich unbedingt schützenswerten Wäldern Kanadas zurück.

Bis der Fluss taut

Gabrielle Filteau-Chiba, dtv

Bis der Fluss taut

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