Die Freischwimmerin

Die Freischwimmerin
Die Freischwimmerin
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Carola Krauße-Reim
901001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2023

Preethi Nair ist eine wunderbare Geschichtenerzählerin

Bhanu steht kurz vor ihrem 40. Hochzeitstag. Natürlich weiß sie von der Zeremonie, die Ehemann Hiten, ihr Sohn und ihre Tochter im Geheimen geplant haben. Doch nicht nur die liegt ihr schwer im Magen, auch ein Besuch bei einer Therapeutin schafft mehr Probleme als Lösungen und das Wiedersehen mit ihrer großen Liebe Deek nach vielen Jahrzehnten bringt sie dann vollends ins Schlingern. Bhanu lässt ihr Leben Revue passieren und denkt an ihre Kindheit in Tansania, an die Liebe zu Deek und an ihr Leben in England, das ihr Hiten, ihre Kinder und ihre Schwiegermutter bescherte.

Familiengeschichten mit indischem Hintergrund

Preethi Nair ist in Indien geboren und in England aufgewachsen. Nachdem sie auf Umwegen zum Schreiben kam, hat sie jetzt ihr mittlerweile drittes Buch in Deutschland veröffentlicht. Ihre Familiengeschichten sind geprägt von ihren eigenen Erfahrungen als indisch-stämmige Britin. Sie beschreibt die angestammten Traditionen und gebliebenen Zwänge der indischen Gemeinschaft, auch wenn das vordergründige Leben komplett britisch ist. Dabei vergisst sie aber nie ihren Humor, verpackt die kleinen und großen Dramen immer in eine Geschichte, die voll von Esprit ist und so einiges Schmunzeln garantiert.

Das Leben von Bhanu legt sich auf uns, wie die Schichten eines Sari

Bhanu erzählt selbst, was ihr kurz vor dem 40.Hochzeitstag passiert und was ihr durch den Kopf geht. Sie ist eine Britin mit indischen Wurzeln, die aber noch immer tief fest steckt in den Traditionen ihrer alten Heimat. Obwohl sie sich für ziemlich fortschrittlich hält, können wir an so manchen Aktionen teilnehmen, die uns zum Schmunzeln bringen aber klar machen, dass dies wahrlich nicht der Fall ist. Und dennoch schafft Bhanu uns ganz zum Schluss zu überraschen und sich freizuschwimmen. Doch vorher erfahren wir von ihrem Leben in Tansania, das ihr erst die Mutter nimmt und ihr dann die Großmutter Ba und ihre große Liebe Deek bringt. Wir gehen mit ihr nach England und in ein ganz anderes Leben, das sie zwar zufrieden werden lässt, aber nicht glücklich. Sie baut sich eine Parallelwelt auf, die nun Gefahr läuft in tausend Stücke zu zerbrechen. Nair legt dieses Leben zwischen Tradition und Moderne, zwischen Liebe und Einsamkeit so einfühlsam frei, dass es sich uns wie die Lagen eines Saris offenbart und einschließt.

Ein Roman der Hoffnung

Preethi Nair verbreitet jede Menge Hoffnung und Zuversicht. Mit viel Szenenwitz und noch mehr Humor schafft sie es, das eigentlich sehr einsame Leben Bhanus mit einem Hoffnungsschimmer zu versehen. Sie ermuntert alle Frauen, sich nicht in Familienarbeit und Alltagsstress zu verlieren, sondern auch die eigenen Bedürfnisse auszusprechen und immer sich selbst treu zu bleiben. Was sich wie das Lehrbuch einer Therapeutin anhört, ist aber ein wunderbarer Familienroman, in dem sich manche Leserin vielleicht wiederfinden könnte. Der Prozess des Freischwimmens ist eingebettet in eine Lebensgeschichte, die ebenso tragisch, wie traurig ist, aber durch ihren Schluss zeigt, dass es nie zu spät ist Fesseln abzuwerfen und selbstbestimmt ins Glück zu schwimmen.  Nairs eingehende Widmung lautet dann auch: „Liebe Leserin, finde den Mut, der Ausweglosigkeit zu trotzen und aufzublühen“.

Von Ehemännern und undankbaren Kindern

Die Figuren in Nairs neuem Roman sind wieder einmal Klischees und dennoch so passend, dass man einige davon selbst kennen könnte. Hiten ist erfolgreicher Juwelier, der besonders technische Großgeräte liebt und seine Frau auch ein bisschen. Nur wenn sie sich öffnen will und ihre Gedanken ausspricht, macht er lieber das Radio an und sinniert über Kaffeevollautomaten. Tochter Anita und Sohn Hari wurden nach Strich und Faden verwöhnt, greifen auch heute noch gerne auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Mutter zurück, aber nur um sie dann darauf hinzuweisen, was sie alles bei ihrer Erziehung falsch machte und auch jetzt noch ständig verbockt. Wer auf der Strecke bleibt, ist Bhanu, die so voller Mitleid sein kann, belesen ist, ihren Dichter Rumi zitieren kann und ihn fast abgöttisch verehrt. Die Charaktere sind Nair in ihrer Alltäglichkeit gelungen und lassen uns manchmal durch ihre Ignoranz, aber ganz oft durch ihren ungewollten oder auch gewollten Witz verdutzt oder lachend zurück. Sie sind es, die uns neben Bhanus Leben an die Geschichte fesseln.

Fazit

Ein Familienroman, der durch Tiefgang und ganz viel Humor punktet. Er ist nicht nur für Frauen zu empfehlen, auch Männer können sich hier wiederfinden und Spaß an der ebenso tragischen, wie Hoffnung machenden Lebensgeschichte von Bhanu finden.

Die Freischwimmerin

Preeth Nair, Droemer

Die Freischwimmerin

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