Die Gedanken sind frei

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Monika Wenger
771001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2022

Fest entschlossen, aufzustehen

Frankfurt, 1945: Ella Reichenbach ist wild entschlossen, die Buchhandlung und das Verlagswesen, das ihre Eltern mit Leidenschaft betrieben haben, wieder aufzubauen. Allerdings sind ihren Vorhaben Grenzen gesetzt. Es herrscht Mangel an allem. In den Trümmerhaufen von Frankfurt ist es bereits ein Wunder, Gegenstände für den Haushalt zu finden – geschweige denn Papier und Schreibmaterial.

Während Ella im beschädigten Gebäude des ehemaligen Verlags ihre Zelte aufschlägt und hartnäckig ihre Ziele verfolgt, muss sie sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Mit ihrem Vater ist sie zerstritten, gibt sie ihm die Schuld am Tod ihrer Mutter. Einziger Lichtblick ist ihre kleine Schwester Luise. Sie lebt bei den Grosseltern in Höchst. Und dann ist da noch Ari. Ein Schauspieler, der genau wie Ella, einen Traum verfolgt. Aber noch ist das Gewesene viel zu nah, die Erinnerungen traumatisch. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft eher ein Traum, einer Fata Morgana gleich.

«Das ist doch widersinnig. Wissen ist mehr als Glaube.» «Ist das so? Wir haben keine andere Wahl, als um die schlimmen Dinge zu wissen, die auf dieser Welt passieren. Aber wir haben die Wahl, trotzdem zu glauben, dass es auch Schönes und Wahres und Gutes gibt. Dass da eine Zukunft wartet und diese Glück birgt.» (Quelle: Roman)

Nichts als Mangel

Das gewichtigere Thema in dieser Geschichte greift den Wiederaufbau des Verlagswesens und des Buchhandels nach dem Krieg auf. Noch gibt es fast kein Papier, keine Druckpressen und anderes, benötigtes Material. Ella versucht es in einem ersten Schritt mit Broschüren zu aktuellen Themen, wie dem Kochen mit minimalen Zutaten. Eines Tages realisiert Ella, dass die Menschen nicht nur Bücher zur Unterhaltung brauchen, sondern auch Bücher, die zur Vergangenheitsbewältigung beitragen, die Wissen vermitteln. Sie schreibt deshalb die Geschichte eines jüdischen Überlebenden von Auschwitz nieder. Dieses Niederschreiben hilft der eher naiven Ella, die Vergangenheit und die Gegenwart einzuordnen und in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen.    

Im parallel verlaufenden Erzählstrang befasst sich Julia Kröhn mit dem Wiederaufbau der zerbombten Stadt Frankfurt. Sie beschreibt bildhaft die Zerstörung und die Trümmerberge, erzählt vom Überlebenswillen der Bevölkerung. Mit viel gutem Willen und noch grösserem Improvisationstalent meistern sie die täglichen Herausforderungen.

Trotz allem schwirrt das braune Gedankengut noch immer in einigen Köpfen. Noch immer herrscht viel Misstrauen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Diese Stimmung und die beiden Seiten des Wiederaufbaus hat die Autorin sehr gut eingefangen und in Worte gefasst. Das geht unter die Haut.

«Die Erinnerungen waren wie der Sand, mal knirschte er unter den Füssen, mal wurde er ihm hart ins Gesicht geweht, mal schimmerte er golden in der Sonne. Man wurde ihn nie ganz los, man lernte nur, mit ihm zu leben, und irgendwann störte er kaum noch.» (Quelle: Roman)

Der Zugang zu Julia Kröhns Hauptfigur Ella erweist sich als schwierig. Die junge Frau erscheint naiv und egoistisch. Sie bleibt unnahbar, obwohl sie kämpft, liebt und für ihre kleine Schwester alles tut. Irgendwie bleibt man aussen vor. Genauso verhält es sich mit den Nebenfiguren. Sie sind schwer zu fassen. Dennoch vermittelt der Roman einen grossartigen Einblick in die schwere und schwierige Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Fazit

Die Einblicke in die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau sind interessant und lesenswert. Sie zeigen die schwierige Rückkehr in die Normalität in aller Deutlichkeit. Es ist deshalb wirklich schade, dass die Figuren in diesem ersten Roman noch so unnahbar scheinen.

Die Gedanken sind frei

Julia Kröhn, Blanvalet

Die Gedanken sind frei

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