Lichte Tage

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Julian Hienstorfer
851001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2023

Ein berührender, traurig-schöner Roman voller Lichtblicke (und kleinen Anlaufschwierigkeiten)

Ellis ist ein desillusionierter, mittelalter Mann, der im grauen Oxford lebt und seine Tage nach dem Tod seiner Frau in einem trostlosen Trott zwischen der Arbeit in der Fabrik und dem einsamen Alltag zuhause verbringt. Rückblenden in die Jugend der Hauptfigur kontrastieren die Tristesse seines jetzigen Lebens. Nur langsam gelingt es dem selbsternannten Eremiten wieder zwischenmenschliche Beziehung zu seinen Arbeitskollegen und Nachbarn zuzulassen und so allmählich ins Leben zurückzufinden.

Aufbruch, Alter, Avignon

Die Sprache des Romans ist zu Beginn so gestelzt („sie gaben sich förmlich die Hand und begrüßten einander, bevor die Verlegenheit ihnen Schweigen gebot“), dass mich das Gefühl beschleicht, im Regal daneben gegriffen zu haben. Habe ich mich blenden lassen, von dem wunderschönen Sonnenblumen-Cover und der Aussicht auf einen Roman über einen unbeschwerten, rebellischen Sommer unter dem weiten, südfranzösischen Himmel? Das wäre schade, denke ich, denn die Handlung gibt einiges her. Es geht um Liebe und Verlust, Erinnerung an große Freiheit und gesellschaftliche Normen, Aussichtslosigkeit und neue Hoffnung. Hätte ich nicht versprochen, „Lichte Tage“ zu rezensieren, würde ich das Buch jedoch nach den ersten 30 Seiten weglegen. Aber dadurch lese ich weiter und plötzlich wird der Roman gut, großartig sogar.

Aus einem Mosaik der Rückblenden treten die Umstände der Gegenwart der Hauptfigur immer deutlicher hervor und gewinnen an tragischem Gewicht. Im zweiten Teil des Romans, einem von Ellis gefundenen Tagebuch, erfahren wir, wie es Michael, dem Jugendfreund, mit dem Ellis früher unzertrennlich gewesen war, erging. Die ergänzende Perspektive komplettiert auf berührende Weise das Bild eines besonderen Verhältnisses zweier junger Männer, die einen gemeinsamen Sommer in Südfrankreich verbrachten, in dem alles möglich schien. Bei ihrer Reise in die Provence tauschten die beiden jungen Engländer die Poesie des Südens gegen das graue Oxford und erlebten eine Zeit jugendlichen Verlangens voll Intimität und Nähe. Jahre später wird die Bedeutung dieser Tage jedoch auf die Probe gestellt, als Annie in ihr Leben tritt.

Das Geräusch zerbrechender Herzen

Sensibel schreibt Sarah Winman über die große Liebe und das Geräusch zerbrechender Herzen, über die (späte) Loslösung von Erwartungen und Rollenbildern, über Scham und Erlösung, Schmerz und Heilung, Trauma und Bewältigung – und die unvergleichliche Provence.

Bücher, Kunst und Musik sind die Kulisse für die Selbstfindung der Protagonisten, denen es gelingt, sich ihrer Vergangenheit und Erinnerung zu stellen und die erkennen, dass zu l(i)eben gleichzeitig bedeutet zu leiden. Rührend, traurig und melancholisch ist dieser Roman – immer wieder aber auch mit Lichtblicken des neue-Hoffnung-Schöpfens durchsetzt.

Fazit

„Lichte Tage“ bricht einem mit seiner plötzlichen, unerwarteten Schönheit das Herz und setzt es gleichzeitig wieder zusammen. Die Handlungsstränge des Romans von Sarah Winman verweben sich zu einer meisterhaften Erzählung, die die Lesenden mit einem diffusen Gefühl von Melancholie und Dankbarkeit zurücklässt. Dranbleiben lohnt sich!

Lichte Tage

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