Seemann vom Siebener

Seemann vom Siebener
Seemann vom Siebener
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Thomas Gisbertz
921001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2023

Ein beeindruckender Roman, der in leisen Tönen seine ganze Kraft entfaltet.

Der letzte Freitag der Sommerferien. Die Hitze in Ottersweiler, einem ruhigen Ort in der pfälzischen Provinz, ist bereits am Morgen kaum noch auszuhalten. Kein Wunder also, dass es alle ins Freibad zieht. Den Ort, der seit dem Unglück nicht mehr derselbe ist. Vor allem nicht für Kiontke, den Bademeister, der noch immer am Beckenrand steht, auch wenn die Leute meinen, dass ihn die Geschichte eigentlich hätte umhauen müssen. Hinter der Kasse sitzt Renate und löst Kreuzworträtsel. Sie mag Kiontke, aber das würde sie ihm niemals auf die Nase binden. Der soll sich bloß nichts einbilden. Da ist Josefine, die gerade ihren Mann verloren hat, der aber irgendwie schon lange nicht mehr ihre große Liebe war und die nun versucht, gegen ihre innere Leere anzuschwimmen. Ähnlich ergeht es Lennart, einem alten Schulfreund von ihr, den es als Starfotograf in die große, weite Welt verschlagen hat. Der nun aber zurücktreibt in die Heimat und irgendwie auch zu Josefine. Die frühere Lehrerin Isobel kannte das Freibad schon, als es dieses noch gar nicht gab. Weil ihr Mann Rüdiger es entworfen und gebaut hat. Jede Tag im Sommer sitzt sie im Freibad unter der Linde, die sie so sehr mag. Und dann gibt es noch eine Teenagerin, die den „Seemann“ machen will, erst vom Dreier, dann vom Fünfer, und schließlich vom Siebener - aber der ist gesperrt, seit Jahren schon, seit diesem Unglück damals. Doch heute ist vielleicht ein Tag, an dem aus der Vergangenheit Zukunft werden kann.

Journalist und Autor

Geboren 1971 in Kaiserslautern studierte Autor Arno Frank zunächst Kunstgeschichte und Philosophie, später absolvierte er die Deutsche Journalistenschule. Frank ist Publizist und arbeitet als freier Journalist vor allem für den SPIEGEL, die taz und den Deutschlandfunk. Er lebt mit seiner Familie in Wiesbaden. Zuletzt erschien von ihm bei Klett-Cotta der Roman „So, und jetzt kommst du“ (2017), der auf autobiographischen Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend basiert.

So müssen Romane sein

Um es direkt vorweg zu sagen: Arno Franks neuester Roman zeigt, wie wunderbar zeitgenössische deutschsprachige Literatur sein kann. Wahrlich ein kleines Juwel.  Dem Autor gelingt es in einer kammerspielartigen Atmosphäre, den Mikrokosmos Freibad derart lebendig werden zu lassen, dass man die Sonnenmilch förmlich riechen kann, die Bienen summen hört und man eine große Sehnsucht nach längst vergangenen Tagen bekommt. Hier ist einer der wenigen Orte, an dem alle gleich sind und jeder sein kann, wie er will. Ein Ort der Gleichwertigkeit. Arno Frank lässt in dieser kleinen Welt seine Figuren aufeinandertreffen, sich im Vorbeigehen begegnen, wie Tauben im Gras. Jeder hat seine Geschichte. Ob Lennart, der als erfolgreicher Fotograf unter einem Burnout leidet. Josefine, die als junge Witwe mit sich hadert, ob sie die Beerdigung ihres Mannes schwänzen darf. Eine Schülerin, die unter Depressionen leidet und im Freibad neuen Mut fasst. Die ehemalige Lehrerin Isobel, die immer mehr in der Vergangenheit lebt. Melanie, die Erzieherin einer Kindergruppe, die glaubt, alles im Griff zu haben, aber mit allem überfordert ist. Sergej, der den Kiosk betreibt, obwohl er es finanziell nicht nötig hat und der ständig Witze macht. Renate, die ihren Dienst als Kassiererin wie früher bei der Sparkasse verrichtet und sich nach einer gescheiterten Ehe eigentlich nur nach Zuneigung und Nähe sehnt. Und natürlich der Bademeister Kiontke, der sich für ein Unglück im Freibad verantwortlich macht, obwohl ihn keine Schuld trifft. Allen gemeinsam sind ihre Erinnerungen und Sehnsüchte.

Das Freibad als Parabel

Mit feinem Humor und großem Einfühlungsvermögen erzählt Arno Frank auch über die Suche nach dem Glück im Leben. Mal lustig, mal schmerzhaft, mal melancholisch. Während die einen einst vor der heimatlichen Enge flohen, sind andere geblieben. Und hier - im Freibad, das ihren Lebensweg mitbestimmt hat - treffen sie wieder aufeinander. Aber es geht nicht nur um Vergangenes und das Gestern. Es ist ein Roman zwischen den Zeiten. Auch wenn vieles aus vergangenen Tagen bis ins Jetzt überdauert hat, wird das Freibad bei Arno Frank auch zu einem Ort der Zukunft, der Veränderung und der Unbeschwertheit. „Alles, was draußen gilt, scheint hier drinnen seine Dringlichkeit zu verlieren“, erkennt auch Josefine. Doch es bedarf Mut, Veränderungen anzunehmen und mit Vergangenem abzuschließen. Dies gilt für das in die Jahre gekommene Freibad ebenso wie für die Figuren. Erst in der vertrauten Umgebung des Freibades, das ebenso Geborgenheit wie Zwanglosigkeit vermittelt, scheint dies für viele erst möglich zu sein.

Großartiger Erzähler

Alles wirkt wunderbar leicht in diesem Roman, nie aufgesetzt. Dies liegt auch an der Multiperspektivität des Erzählens, die es Frank erlaubt, hinter seine Figuren zurückzutreten und diese für sich sprechen zu lassen. Ihr Plauderton und ihre Offenheit erwecken den Anschein, sich zwischen ihnen zu bewegen und Teil dieses Mikrokosmos zu werden, der vielen so vertraut ist.

Der Roman spielt an einem Sommertag im Freibad. Mehr braucht Autor nicht, um aus noch so scheinbar banalen Dingen wundervolle Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Arno Franks Sprache ist mal lakonisch, mal humorvoll, mal virtuos, aber immer mit einem großen Gespür für die Figuren. Wahrlich ein sprachliches Kaleidoskop, das die große erzählerische Kunstfertigkeit des Autors offenbart.

Fazit

Autor Arno Frank hat lange überlegt, ob er überhaupt noch einmal einen Roman schreibt. Es ist ein großes Glück, dass er es getan hat. Mit „Seemann vom Siebener“ gelingt ihm eine Erzählung, die lange nachhallt. Mal bewegend, mal schreitend komisch oder zutiefst traurig. Ein wahres Wechselbad der Gefühle, ohne jemals ins Kitschige abzugleiten. Ein Roman, den jeder gelesen haben sollte.

Seemann vom Siebener

Arno Frank, Tropen

Seemann vom Siebener

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