Young Mungo

Young Mungo
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Yannic Niehr
911001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2023

Wann ist ein Mann ein Mann?

Glasgow in den 90ern: Das triste Leben im Arbeitermilieu des East End ist geprägt von Perspektivlosigkeit und brutalen Bandenkriegen zwischen Katholiken und Protestanten. Hier wächst der junge Mungo (benannt nach einem lokalen Schutzpatron) auf. Sein Bruder Hamish führt eine Gang in blutigen Straßenschlachten gegen verfeindete katholische Jungs an, und am liebsten hätte er Mungo stets an seiner Seite, damit „ein richtiger Mann“ aus ihm wird. Doch Mungo ist eine sanftmütige Seele, die so gar nicht auf dieses raue Pflaster gehört.

Mutter Maureen, vom Leben enttäuscht, verschwindet häufig tage- oder gar wochenlang, und ist sie vor Ort, lässt sie sich volllaufen und wirft ihren Kindern vor, an allem schuld zu sein, was in ihrem Leben schiefgegangen ist. An seinen Vater hat Mungo praktisch keine Erinnerungen. Nur zu seiner Schwester Jodie, die den Großteil seiner Erziehung übernommen hat und gerne auf die Uni abhauen würde, aber nicht recht daran glaubt, ihrem Schicksal entfliehen zu können, hat er eine gute Beziehung.

Dann jedoch lernt er James kennen, einen blonden, unkomplizierten Jungen mit einem Taubenschlag direkt neben der Autobahn. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Freundschaft – und, wie sich bald zeigt, mehr als das. Doch ihre Beziehung steht hier unter keinem guten Stern. Haben sie eine Chance? Oder werden sie an den Widerständen zerbrechen?

„ ‚Sei nicht wie ich, Mungo. Für dich ist es noch nicht zu spät.‘ Doch es war längst zu spät. Es war immer zu spät gewesen. “

Glasgower Setting, alleinerziehende Mutter, abwesender Vater – unübersehbare autobiographische Parallelen des Romans zum frühen Leben seines Autors Douglas Stuarts finden sich zuhauf. Stuart, der mit seinem Ehemann in New York lebt, wurde in der Schule an Klassiker der amerikanischen Literatur herangeführt. Besonderen Einfluss hatte aber auch das Werk How Late it Was, How Late des ebenfalls glasgowstämmigen Schriftstellers James Kelman auf ihn. So begann Stuart, der einen Masterabschluss des Royal College of Art innehat, neben seiner Arbeit als Modedesigner sein Wirken auch dem Schreiben zu widmen. Sein Debutroman Shuggie Bain, ebenfalls übersetzt von Sophie Zeitz (die vor der Herausforderung stand, den Dialekt der Glasgower ins Deutsche zu übertragen), wurde 2020 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Nun widmet er sich in seinem aktuellen Buch Young Mungo erneut einem jungen Protagonisten in Glasgow, der in schwierigen Lebensumständen nach Sinn, Liebe und der eigenen Identität sucht.

„ -‚Du hasst mich. Mungo, oder?‘  -‚Nein. Aber ich will nicht so sein wie du.‘ “

Young Mungo beeindruckt mit glaubwürdigen Charakteren, einem atmosphärisch beschriebenen Setting und einer Geschichte, die einen mit jeder Seite mehr in Atem hält. Durch gelegentliche Perspektivwechsel werden alle Figuren in ihrer oft überraschenden Tiefe ausgelotet, doch der Fokus liegt auf Mungos Innenleben.

Die Geschichte ist in zwei Hauptstränge unterteilt, die teils parallel geschildert werden: zum einen die aufkeimende Liebe zwischen Mungo und James im Rahmen ihres schwierigen Umfeldes, zum anderen Mungos Angelausflug mit zwei Mitgliedern aus Maureens AA-Gruppe im Anschluss an eine anfangs nur angedeutete dramatische Wendung. Mungos Zartheit und sogar seiner dysfunktionalen Familie gegenüber selbstaufopfernde Liebe, seine Versuche, sich in der Welt, die er bewohnt, zu verorten, und sein starkes Bedürfnis nach der Art von Nähe und Verständnis, die James ihm bietet, werden in einem ruhigen, aber nicht sentimentalen Stil präsentiert, der einen zunächst in Sicherheit wiegt, bevor einem die späteren, traumatischen Geschehnisse einen Schlag in die Magengrube versetzen.

„ ‚Du bist viel zu jung, um irgendwas von Männern und ihrer Wut zu verstehen. Stell dir mal die ganze Angst und Enttäuschung vor, die sich dadrin angestaut hat, und keiner hat ihn danach gefragt, keiner hat gefragt, ob er mit seinem Leben zufrieden ist, ob ers packt. Von den Männern konnte dir keiner sagen, wie er sich wirklich gefühlt hat, weil, wenn die angefangen hätten, hättense nur noch geheult, und in dieser Scheißstadt isses so schon nass genug.‘ “

Der thematische Kern von Young Mungo steckt in der Verhandlung männlicher Identitätskonzepte, die an verschiedenen Haupt- und Nebenfiguren abgehandelt werden. Das Buch wirft dabei auch einen Blick auf spezifisch männlichen Schmerz, dessen Ursachen, und wie er zumeist in Aggression und Machtkampf kanalisiert wird. Homosexuelles Begehren wird konsequent ausgelagert, Sexualität bricht sich auf oftmals ungesunden, toxischen Wegen Bahn. Immer erschütterter fiebert man mit, wie Mungos Geschichte wohl ausgeht, ob er von dem, was ihm widerfährt, korrumpiert werden wird und gezwungen sein muss, sich seinen Umständen anzupassen, und ob die Liebe zwischen ihm und James hier überhaupt lebensfähig ist. Der stimmige Schluss liefert bewusst keine Antworten.

Fazit

Young Mungo ist das faszinierende Porträt eines Jungen auf der Suche nach der eigenen Identität, und zum Teil sogar eine wunderschöne Liebesgeschichte. Sprachlich stimmig, ausdrucksstark und einfühlsam stellt der Roman die Frage danach, ob wir gezwungen sind, immer nur das Produkt unserer Umwelt zu sein und welche Möglichkeiten des Seins es für Männer gibt. Dabei lässt er einen immer wieder fassungslos und erschüttert, aber häufig auch zutiefst berührt und ergriffen zurück. Douglas Stuart sollte man gelesen haben!

Young Mungo

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