Die unglaubliche Grace Adams

Die unglaubliche Grace Adams
Die unglaubliche Grace Adams
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Stefanie Eckmann-Schmechta
951001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2023

Go Crace, go!!

Grace ist 45 Jahre alt, von ihrem Mann und ihrer Tochter getrennt lebend und heftig in den Wechseljahren. Ihre Geschichte beginnt, als sie sich mitten im Stau befindet. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Tochter, die an diesem Tag 16 Jahre alt wird. London ist an diesem Tag wie ein Backofen, die Gluthitze macht sie reizbar. Die Klimaanlage ist defekt und der Typ neben ihr im Wagen glotzt ständig zu ihr rüber. Es geht nicht voran. Aber sie muss rechtzeitig bei ihrer Tochter sein, um ihr die große, außergewöhnliche und bedeutsame Torte zu bringen, die sie noch auf dem Weg abholen muss. Die Torte, die alles wieder zwischen ihr und ihrer Tochter ins Lot bringen soll.

Schließlich hält sie es nicht mehr aus. Sie steckt Portemonnaie und Handy in ihre viel zu enge Röhrenjeans und verlässt ihr Auto. Einfach so. Allen entsetzten Zurufen zum Trotz. Das ist der erste Streich von Grace Adams, an diesem heißen Tag in London, es sollen auf ihrem langen Fußweg zu ihrer Tochter noch so einige folgen…

Grace ist eine tolle Frau

Grace spricht mehrere Sprachen fließend, sieht gut aus und ist ebenso schlagfertig wie intelligent. Sie kann alles hinbekommen, wenn sie nur will. Sogar Wonderwoman sein. Und sie hatte auch alles, einen Mann, den sie sehr liebt und eine wunderschöne Tochter, die sie anbetet. Doch irgendetwas ist schiefgelaufen.

«Die unglaubliche Grace Adams» von Fran Littlewood habe ich mit einer großen Neugier und Anteilnahme gelesen. Dabei dachte ich so manches Mal, dass sie, unsere Hauptperson, doch wohl etwas übertreibt. Doch die Zeitsprünge vom „Jetzt“ in die jüngere und auch fernere Vergangenheit gaben immer neue, fesselnde Einblicke, dass es für mich ein überaus packendes Leseerlebnis war. Denn: die Antwort auf die Ursache für das heutige Desaster musste ich einfach erfahren.

Die kurzen Einblicke geben nur knappe Hinweise, führen so manches Mal nicht in die vermutete Richtung, liefern gerade zu Anfang keine Bestätigung. Doch es lohnt sich, wirklich; das Ende - so viel sei verraten - ist eine solche Überraschung, so großartig von Fran Littlewood auf die Spitze getrieben und dennoch so bewegend erzählt, dass man - wie so oft bei diesem Roman - nicht so genau weiß, ob man nun lachen oder weinen soll.

Wären wir alle nicht mal ein bisschen wie Grace?

Grace schleppt sich durch die Londoner Hitze, hat Blasen an den Füßen, unglaublichen Durst aber kein Geld mehr, weil sie es aus Scham einer Obdachlosen gegeben hat. Auf ihrem scheinbar endlosen Weg zu Fuß muss sie erleben, wie sie übersehen, ignoriert und lächerlich gemacht wird. Sie ist alles andere als eine Heldin, wie sie so planlos, fast manisch, ihr Ziel verfolgt; der große «Game Changer», die Mega-Geburtstagstorte, die alles wieder in Ordnung bringen soll, muss sie heute noch ihrer Tochter bringen. Grace hat keine Antennen für nervige Mütter aus der Schule, die sie einfach stehen lässt, auch nicht für die Hilfe, die ihr auf sehr einfühlsame Weise zuteilwird. Wie ferngesteuert verfolgt sie ihr Ziel und ist gewillt, alles platt zu machen, das sich ihr in den Weg stellt.

Frauen, die sich mit den Symptomen der Wechseljahre schon bekannt gemacht haben, werden sich gut in Graces Perspektiven und Empfindungen wiederfinden. Und ja, auch sie würden sicherlich gerne mal eine Ladentheke mit einem Handstreich leerfegen, weil man sie mal wieder übersehen wollte.

Fran Littlewoods Sprache hat mich dabei auf Anhieb eingefangen. Sie findet Worte für Situationen und sorry, Zustände, die so eingängig und nachvollziehbar sind - und das nicht nur für Frauen in der Menopause - dass man all das vor Augen hat, dass man die Hitze und die Gereiztheit mitempfindet. Denn Grace, das merkt man schnell, ist am Rande eines Nervenzusammenbruchs, besser gesagt, sie hat gerade einen. Wie viele Frauen mittleren Alters, hat sie keine Geduld mehr. Nicht für die Arroganz, nicht für die Ignoranz und nicht für das egoistische, dumme Verhalten anderer - sie hat ihre Toleranz über Bord geworfen. Und wenn wir ehrlich sind, würden wir genau das gerne tun, was Grace tut, in genau dem Moment, in dem wir spüren, dass wir gleich explodieren. Was soll ich sagen? Grace explodiert - und der eine Teil in mir schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und der andere Teil lacht schadenfroh.

Nur liegt unter dieser vordergründig verrückten Geschichte eine sehr ernste. Dass Fran Littlewood diesen Spagat hinbekommt, ist ihr hoch anzurechnen. Daher würde ich das Buch nicht nur „betroffenen“ Frauen empfehlen, auch nicht nur jungen Frauen, sondern auch Männern. Ich glaube, danach kann man eine ganz neue Gesprächsebene finden. (Gut, das sollte man mit einem Augenzwinkern lesen.)

Fazit

Ein fesselnder Roman über den Tag einer Mittvierzigerin, der immer mehr aus dem Ruder läuft. Diese Dramadey ist vieles zugleich, unterhaltsam und tiefgründig, komisch und sehr berührend, übertrieben und wahrhaftig. Ein Buch, das ich sicher nicht vergesse und es nicht nur Frauen über 40 empfehlen würde, sondern allen, die neugierig auf andere Lebens-Perspektiven sind.

Die unglaubliche Grace Adams

Fran Littlewood, Ullstein

Die unglaubliche Grace Adams

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