Menschen, die wir noch nicht kennen

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Stefanie Eckmann-Schmechta
801001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2023

Mit dem Bus durch London

Statt des erhofften Heiratsantrags, bekommt Libby die Enttäuschung ihres Lebens zum Dinner serviert. Simon, ihr langjähriger Lebenspartner, braucht eine Beziehungspause. Libby verlässt ihr Zuhause, das Simons ist, und ihren Job in der Gärtnerei, die Simon gehört, und steht plötzlich mit nur einer Reisetasche vor dem Haus ihrer Schwester in London.

Und dieser vermeintlich viel besseren, erfolgreicheren Version ihrer selbst, kommt Libby gerade recht: Das Au-pair-Mädchen fällt in den nächsten drei Wochen aus, Libby soll auf ihren kleinen Neffen aufpassen. So hat schließlich jeder etwas davon. Die Familie erwartet, dass sie die Wogen zwischen ihr und Simon wieder glättet und nach einigen Tagen wieder zu ihm zurückkehrt.

Libby wartet sehnsüchtig auf ein Zeichen von Simon - und als er sich endlich meldet, wird sie abermals enttäuscht. Simon möchte nicht sie zurück, sondern ihre Arbeitskraft in der Gärtnerei.

Als sie auf einer Busfahrt zufällig auf Frank, einem älteren Herrn trifft, nimmt ihr sonst so ereignisloses Leben eine unerwartete Wendung. Frank erzählt ihr von seiner großen Liebe, die er verloren hat, kaum dass er sie kennen gelernt hat. Libby erinnert ihn sogar an sie. Plötzlich ist er wieder 18 Jahre jung. Die vielen Jahrzehnte, die er schon genau auf dieser Bus-Linie nach der einen Frau sucht, sind für einen Moment wie ausgelöscht. Und Frank erinnert sich, wie wunderbar sie war und wie sehr diese Begegnung sein weiteres Leben bestimmt hat. Ohne sie hätte er nie den Mut gehabt, Schauspieler zu werden.

Libby ist sofort fasziniert von Franks Geschichte und möchte helfen. Sie will über das Internet und mit Flyern nach Franks großer Liebe suchen. Dylan, sein ungewöhnlicher Pfleger, ist jedoch skeptisch. Er weiß um Franks Aussetzer und seine verwirrten Phasen, dass er sich an manchen Tagen nicht mehr zurechtfindet und zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr unterscheiden kann. Dennoch hilft er, der mürrische Punk, Libby bei der Aktion. Frank zuliebe.

Mit der Zeit legen Libby und Dylan schließlich ihre gegenseitige Abneigung ab und werden zu Freunden. Und im Verlauf auch mehr …

Neue Freunde, neue Wege

Nicht nur Frank steckt noch immer in seiner Vergangenheit fest, mit der unglücklichen Gewissheit, dass er die Frau seines Lebens durch einen dummen Zufall verpasst hat. Auch Libby muss ihren Weg in ein neues Leben finden und die Umstände machen es ihr wirklich nicht leicht – und ihr Ex-Freund am allerwenigsten. Er entscheidet sich genau in dem Moment, wieder eine Rolle in ihrem Leben zu spielen, als sich alles endlich wieder zu fügen scheint. Zu alledem kommt noch hinzu, dass sie von ihrer Familie keinerlei Unterstützung erhält. Sie wird bevormundet, übergangen, ignoriert und geringgeschätzt. Mehr Ignoranz geht wirklich nicht. Sogar sie versteht schließlich:  Sie muss sich wehren, muss lernen, für sich und für das was sie will, und ganz besonders für das, was sie nicht will, einzustehen. Überraschenderweise reicht eine kurze, konkrete Ansage an die Familie. Das kennt man anders.

Freya Sampson setzt in ihrem Roman ganz auf den Zauber von Zufallsbegegnungen, die das Leben aller Beteiligten verändern soll. Der alte Frank, der nur noch den Wunsch hat, SIE zu treffen und ihr zu danken. Der traurig-wütende Punk Dylan, der niemanden an sich heranlassen möchte. Und die verlorene Libby, die mit Ende 20 noch nicht erwachsen ist und keinen Halt findet. Sie alle werden aller Unterschiede zum Trotz zu Freunden. Mehr noch, sie werden zu einer Familie. Vieles wird im Verlauf des Romans erklärt, doch geraten immer noch einige Dinge zu knapp, die Reaktionen und Aktionen wirken erzählt, leider nicht wie erlebt; das schmälert das Lesevergnügen, da man den Protagonisten, allen voran Libby, nicht so recht nahekommt. So bleibt, allen herzerwärmenden Begegnungen und Wendungen zum Trotz, der Roman eher an der Oberfläche.

Doch Freya Sampsons punktet ganz klar in ihren Rückblenden, in der Begegnung zwischen Frank und seiner großen Liebe, mit dem direkten Blick zurück in jenen April 1962, der alles veränderte. Diesen Part finde ich am intensivsten und kraftvollsten.  Da dies der Einstieg in den grundsätzlich sympathischen Roman ist, hatte sie mich damit sofort. Leider sind Libbys anschließenden Erlebnisse, ihre wankelmütige Haltung sowie ihre ergebene Art ernüchternd und lassen den anfänglichen Zauber vergehen.

Doch die warmherzige Erzählung lässt einiges vom Londoner Flair aufkommen. Und ebenfalls zugutehalten möchte ich dem Roman, dass er seine Leser/innen mit einem guten Gefühl zurücklässt, und das, ohne allzu sehr ins rosarote Happy End abzugleiten. Erfrischend humorvoll, wenn auch manchmal auch etwas überzogen, bleibt der Roman damit im Großen und Ganzen auf dem Boden der Tatsachen.

Fazit

Ein schöner, gefühlvoller Roman für alle, die London mögen und an die schicksalshafte Bedeutung von Zufallsbegegnungen glauben.

Menschen, die wir noch nicht kennen

Freya Sampson, DuMont

Menschen, die wir noch nicht kennen

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