Es war einmal in Brooklyn

Es war einmal in Brooklyn
Es war einmal in Brooklyn
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Yannic Niehr
741001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2023

Ein Großstadtmärchen

Brooklyn im Jahrhundertsommer 1977: Aufbruchsstimmung liegt in der heißen Luft, Sturm und Drang weht durch die Straßen. Im brodelnden Klima ihrer Zeit werden David Haddad und Juliette Darling gemeinsam groß. Seit Kindertagen sind die beiden unzertrennlich. Doch nun, mit 17 Jahren und damit an der Schwelle zum (nominellen) Erwachsenwerden, stellt das Leben ihnen neue Fragen: Was wollen sie wirklich? Wo geht es für sie hin? Und kann zwischen ihnen mehr entstehen als Freundschaft? Während Juliette aus dem engen Korsett ihres Lebens entfliehen und studieren will, schrumpft Davids Leben durch seine Krebsdiagnose zusammen. Ihm wird nicht mehr viel Zeit bleiben, und ein folgenschwerer Pakt schürt weiteres Konfliktpotenzial für ihre Beziehung – denn Juliette nimmt David zunehmend als „Klotz am Bein“ wahr. Als sie schließlich mit dem Pizzaboten Rico anbändelt, ist ein Schmelzpunkt erreicht – pünktlich zum Stromausfall, der New York in dieser Nacht in Dunkelheit stürzen und ein Ende sowie einen Anfang zugleich markieren wird …

„Ein Märchen von platonischer Liebe“

Syd Atlas, die in Brooklyn geboren wurde und seit den 90er Jahren in Berlin lebt, studierte ursprünglich Theaterwissenschaften und verdingte sich zunächst als Schauspielerin. Heute ist sie – neben ihrer Arbeit als Autorin – als Kommunikationscoach tätig. In ihrem ersten Buch Das Jahr ohne Worte verarbeitete sie sowohl die Untreue als auch die ALS-Erkrankung und schließlich den Verlust ihres Ehemanns. Nun ist im Kindler-Verlag ihr aktueller Roman Es war einmal in Brooklyn (OT: The Darlings) erschienen, welcher eine komplexe Beziehungsgeschichte voller Tragik und Lebenslust erzählt.

„Man kann einen Menschen niemals wirklich kennen. Lass die Umstände deines Lebens niemals bestimmen, wie es sein wird“

Wie der Titel schon suggeriert, handelt es sich bei diesem Buch um ein verträumtes Märchen, angesiedelt im Großstadtdschungel. Juliette und David – doch auch ihre Eltern und das überschaubare Ensemble an Nebenfiguren – werden sehr einfühlsam und dreidimensional gezeichnet, ihre Ecken und Kanten nicht ausgespart. So sehr man ihnen ihre allzu menschlichen Schwächen manchmal einfach nicht verzeihen möchte, so sehr nehmen sie einen doch durch ihre tief brennenden Sehnsüchte, Wünsche und Träume wieder ein. Atlas gelingt es dabei sehr gut, aufs Wesentliche zu verknappen und eine unverstellte, unmittelbare Sprache zu finden, die statt Kitsch mit echten Gefühlen aufwarten und diese gleichzeitig einem erfrischend realitätsnahen Pragmatismus annähern kann. Dabei springt sie gerne zwischen verschiedenen Erzählperspektiven als auch Zeitebenen hin und her, was das Innenleben der Figuren – besonders zum Ende hin, wo sich der Text dem inhaltlichen Geschehen anpasst und sich größere formale Freiheiten einräumt – gekonnt unterfüttert.

‚Im Leben hält sich alles die Waage, also bleib verdammt nochmal im Gleichgewicht‘

Trotz aller sprachlichen Raffinesse kann Atlas leider nicht einen konsequent durchgehenden Spannungsbogen etablieren, sodass die Faszination beim Lesen in wellenartigen Mustern kommt und geht. Schade ist vor allem, dass der große Blackout vom 13./14. Juli 1977, der fast das komplette Stadtgebiet Manhattans betraf, Aufruhr und Plünderungen nach sich zog und zu einer New Yorker Legende wurde, nicht in dem Maße für das Erzählen der Geschichte herangezogen wird, wie man vielleicht hoffen würde. Hier hätte mit ein wenig mehr Fokus noch einiges an Potenzial weiter ausgeschöpft werden können. Manchmal fehlt es dann doch ein wenig an Balance zwischen den Teilen des Textes, die intellektuell ansprechen, und denen, die auf emotionaler Ebene Resonanz finden sollen. Die Passagen jedoch, die ins Schwarze treffen, sind äußerst beeindruckend, vermögen tiefe Einsicht in die menschliche Seele zu gewähren und die vielen verschiedenen Formen abzubilden, die Liebe annehmen kann. Es sind diese Momente, die den Charme des Buches ausmachen.

Fazit

Es war einmal in Brooklyn ist kein literarisches Meisterwerk, aber ein versiert verfasster Coming-of-Age-Roman, der Hoffnung und Drama, Romantik und Desillusionierung – eben alles, was einem im Leben begegnen und berühren kann – vereint und dabei die Beziehung zweier Menschen auf dem Weg zu Ihrer Selbstwerdung skizziert. Eine durchaus empfehlenswerte Sommerlektüre!

Es war einmal in Brooklyn

Syd Atlas, Kindler

Es war einmal in Brooklyn

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