Zur See

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Monika Wenger
951001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2022

Ein Leben von und für die See

Seit Jahrhunderten leben und trotzen die Menschen auf der Insel jeglichen Stürmen. Generationen von Seefahrern haben hier gelebt und wurden auf dem Inselfriedhof begraben. So sollte es auch weiterhin sein. Doch die Zeiten ändern sich. Der Wandel erreicht die Nordseeinsel. Für die alteingesessene Familie Sanders gilt dies ebenso, wie für alle anderen Bewohner.

«Und etwas hat sich eingedrückt und auf sie abgefärbt, ist in sie eingesickert von diesen Schiffsjungen und Harpunierern, Steuermännern, Kapitänen, die jedes Jahr vom Frühjahr bis zum Herbst ins Nordpolarmeer fuhren, ihre Kleider niemals trocken, ihre Körper niemals warm.» (Quelle: Roman)

Alte Wut und eisiges Schweigen

Hanne Sanders führt in ihrem ehemaligen Elternhaus das Inselmuseum. Ihr Ehemann Jens lebt bereits viele Jahre allein im Vogelschutzgebiet. Ein Seefahrer, der mit Frau und Kinder nichts anzufangen wusste. Der älteste Sohn Ryckmer trinkt sich die Seefahrerseele aus dem Leib und muss seinen Abstieg vom Tankerkapitän zum Decksmann auf der Fähre aushalten. Die Tochter Eske arbeitet als Altenpflegerin und nimmt sich alle Jahre vier Wochen Festland-Urlaub – eine Insel-Auszeit. Sie kann nicht ohne die Insel leben, braucht aber hin und wieder Abstand. Henrik, der Jüngste der Familie, ist ein eigenwilliger Kerl und Treibgutsammler. Er hat die Insel nie verlassen, lebt sein Leben und kann seine Treibgut-Kreationen als Künstler gut verkaufen.

Dörte Hansen erzählt vom Leben der Familie Sanders knapp und dennoch einfühlsam, ohne Kitsch und Romantisierung. Die Menschen, die seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzen, haben gelernt, jede Lebenslage hinzunehmen. Sie sind mit der See verbunden und ohne sie eh nur halb. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber trotz Traditionen und einer tiefen Verbundenheit: Das Leben der Inselbewohner ist im Umbruch. Mit den aufkommenden Touristenströmen verändern sich die Lebensweisen und die jahrhundertalten Jahresabläufe. Ein unübersehbarer Strukturwandel setzt ein. Die Fischer und Seefahrer werden weniger, dafür ergeben sich durch die Touristen andere Einnahmequellen. Diesen Wandel beschreibt Dörte Hansen in ihrer ganz eigenen, unter die Haut gehenden Sprache. Das Eintauchen in die Geschichte fällt leicht – gerade wegen dieser bemerkenswerten Art zu formulieren. Dieser Schreibstil verstärkt bewusst die Wahrnehmung für die Auswirkungen in einer scheinbar festgefügten, traditionsbewussten Gesellschaft.

«Man sieht die Träume noch, wenn man vorübergeht an diesen kalten, leeren Häusern, wie man in einem Bernstein manchmal noch ein Tier erkennen kann, sehr schön und still in der Versteinerung.» (Quelle: Roman)

 

Fazit

Ausdrucksstark und in einer, dem Ort und den Menschen angepassten Sprache, erzählt Dörte Hansen vom Leben und von den Veränderungen auf einer Norddeutschen Insel. Jedes Wort sitzt, jeder Satz umfasst präzise das Geschehen. Es ist eine bemerkenswerte Lektüre.

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