Die Leuchtturmwärter

- OT: The Lamplighters

- aus dem Englischen von Eva Kemper

- HC, 432 Seiten

Die Leuchtturmwärter
Die Leuchtturmwärter
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Carola Krauße-Reim
981001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2021

Spannend wie ein Krimi

Emma Stonex arbeitete lange als Lektorin in einem großen Verlagshaus, bevor sie Schriftstellerin wurde. Mit Die Leuchtturmwärter legt sie ihr Romandebüt vor, inspiriert durch ihre große Faszination für Leuchttürme und das mysteriöse Verschwinden von drei Leuchtturmwärtern von den Flannan Isles.

Eine wahre Begebenheit als Romangrundlage

Im Dezember 1900 verschwanden drei Wärter spurlos von ihrem Turm, dem Flannan Isles Lighthouse auf Eilean Mòr, einer Insel der Äußeren Hebriden. Stonex hat dieses Ereignis als Grundlage für ihren Roman genutzt, wobei sie das Verschwinden ins Jahr 1972 datiert und den Leuchtturm „The Maiden“ vor die Küste Cornwalls verortet. Einsam, nur auf einem Betonsockel stehend, liegt der Leuchtturm mitten im Meer, von der Küste zwar gerade noch zu sehen, aber nur bei gutem Wetter zu erreichen. So kann es sein, dass die drei Wärter oft Wochen oder sogar Monate von ihren Familien an Land getrennt sind. In miefiger Enge müssen sie leben, arbeiten und vor allem miteinander auskommen. Nur die wenigen Versorgungsboote durchbrechen die tägliche Routine. Bei einer solchen Fahrt stellen die Bootsleute fest, dass die stählerne Außentür des Turms verschlossen ist und niemand auf ihre Rufe antwortet. Es stellt sich heraus, dass der Tisch in der Küche für zwei Personen gedeckt wurde, die Sturmkleidung unberührt an den Haken hängt, im Logbuch von einem Sturm die Rede ist, obwohl das Meer sich beruhigt hat und zwei Uhren zur exakt selben Zeit stehengeblieben sind – doch von den Wärtern fehlt jede Spur. Zwanzig Jahre später will ein angesehener Autor das Rätsel in einem Roman aufarbeiten und sucht Kontakt zu den Frauen der Verschwundenen. Sie reagieren ganz unterschiedlich, brechen zum ersten Mal ihr Schweigen und erzählen von ihren schmerzhaften Verlusten.

Ganz unterschiedliche Charaktere werden hervorragend beschrieben

Stonex hat die Figuren so eindringlich charakterisiert, dass sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf den Leser ausüben. Die drei Männer auf dem Leuchtturm sind ebenso unterschiedlich wie ihre drei Frauen an Land. Jeder und jede hat Ängste, Wünsche und eine Vergangenheit. Die Autorin lässt die Charaktere mit jeder Erwähnung reifen, und so lernt man ganz langsam Arthur, Bill, Vince, Helen, Jennifer und Michelle kennen. Das Leben auf dem Turm wird als Gegenstück zum Leben der Familien an Land gezeigt – hier die Männer in der Enge und der raue Umgangston; da die Frauen, die mit allen alltäglichen Herausforderungen alleine fertig werden müssen, und bei beiden die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Verständnis. Und es gibt noch zwei weitere Protagonisten, die eine ausschlaggebende Rolle spielen: der Leuchtturm und das Meer. Beide werden als ständig anwesende Präsenz personalisiert und als Setting mystifiziert. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen einzelnen Komponenten macht einen Großteil der Erzählung aus, das unaufgeklärte Verschwinden den anderen.

Mit jedem Detail wird die Geschichte packender

Dass Stonex mit Texten und Sprache umzugehen versteht, merkt man im Aufbau des Romans und in jedem einzelnen Satz. Auf sprachlich hohem Niveau springt sie zwischen den Jahren 1972 und 1992, zwischen den Perspektiven der Protagonisten und zwischen ganz unterschiedlichen Erzählformen. So kann man die Perspektive des Ich-Erzählers genauso finden, wie die des personalen und neutralen Erzählers. Berichtet wird neben einer Erzählung mit Dialogen auch in Form von Briefen, von narrativ angelegten Dialogen und Tagebucheinträgen. Immer tiefer taucht man in die Leben der Menschen ein, immer mehr Details werden offensichtlich. Was anfangs wie ein mysteriöses Vorkommnis beginnt, entwickelt sich zu einem vielschichtigen Familiendrama, das die Verflechtungen der einzelnen Figuren, ihre Probleme und Beziehungen zeigt. Der Leser dringt ein in ein Netz aus Lügen, Geheimnissen, Wünschen, Schuld und Realitätsverlust. Mit jeder Wendung wird die Geschichte spannender, denn immer mehr kristallisiert sich heraus, wie es wirklich um die Personen stand, wie es in den angeblich guten Ehen tatsächlich aussah und wer was zu verheimlichen hatte. Stonex schildert dieses Geflecht fesselnd, ausdrucksstark und atmosphärisch überaus dicht, wobei die elaborierte Sprache noch ein zusätzliches I-Tüpfelchen des Romans ist. Vom Anfang bis zum Schluss steigert sich die Spannung und somit die Geschichte unaufhörlich. Das fulminante Finale schließt mit einer ebenso dramatischen wie möglichen Erklärung des Verschwindens der Männer den unglaublich packenden Roman ab, dem man sich von der ersten Seite an nicht entziehen kann.

Fazit

Die Leuchtturmwärter ist eines der literarisches Highlights 2021! Emma Stonex erzählt virtuos die durchgehend fesselnde Geschichte mit ihren vielschichtigen Charakteren auf einem sprachlich so hohen Niveau, dass man von Anfang an gebannt ist und erst nach der letzten Zeile wieder aus dem Strudel von Geheimnissen, Lügen und mystischem Verschwinden auftaucht.

Die Leuchtturmwärter

Emma Stonex, S. Fischer

Die Leuchtturmwärter

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