Das Mädchen mit der lauternen Stimme

  • Eichborn
  • Erschienen: August 2021
  • 2

- OT: The Girl With the Louding Voice

- aus dem Englischen von Simone Jakob

- HC, 368 Seiten

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
Das Mädchen mit der lauternen Stimme
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Carola Krauße-Reim
971001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2021

Ein Plädoyer für die Rechte der Mädchen in Afrika

Abi Daré ist in Lagos, Nigeria aufgewachsen. Sie studierte in Großbritannien, wo sie auch heute noch mit ihrer Familie lebt. Das Mädchen mit der lauternen Stimme ist ihr Roman-Debüt, mit dem sie selbst zur unüberhörbaren Stimme für die Rechte der Mädchen in Afrika wird.

Adunni will so gerne zur Schule gehen

Adunni ist 14 Jahre alt, sie lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Dorf in Nigeria und will unbedingt wieder zur Schule gehen. Doch nach dem Tod der Mutter muss Adunni die Hausarbeit übernehmen. Weil das Geld überall fehlt, verheiratet ihr Vater sie mit einem viel älteren Mann und streicht den Brautpreis ein. Als dritte Frau muss Adunni nicht nur den Ehemann ertragen, sondern auch die beiden über ihr stehenden Frauen. Als eine von ihnen stirbt, befürchtet Adunni, dass es ihr angelastet wird, und sie flieht nach Lagos. Doch als Hausmädchen von Big Madam sieht ihr Leben auch nicht viel besser aus. Aber Adunni gibt nicht auf - und sie erhält von ungewohnter Seite Unterstützung ...

Nigeria – ein Land voller Kontraste

„Nigeria ist ein reiches Land mit vielen armen Menschen“ - das hört man in Nigeria immer wieder. Die Bodenschätze machen nur eine kleine Oberschicht immer reicher, während der Großteil der Bevölkerung in Armut leben muss. Dieses Gefälle hat Daré in ihrem Buch sehr eindrücklich beschrieben. Adunni wächst in einer Armut auf, die im ländlichen Nigeria Normalität ist. Die Menschen haben dort ihre eigenen Gesetze, scheren sich nicht um Gerichtsbarkeiten und Menschenrechte. Da wird man schnell einmal auf dem Dorfplatz aufgehängt, ohne dass jemals eine Verhandlung stattgefunden hat. Das Leben in den Städten dagegen ist geprägt von westlicher Lebensart, auch wenn es hier ebenfalls noch genügend Armut gibt. Diese Kontraste erleben wir zusammen mit Adunni sehr deutlich, die auch in Lagos als Sklavin von Big Madam gehalten wird – ohne Lohn, nur mit einer Mahlzeit am Tag, dafür aber mit Schlägen und nicht enden wollender Arbeit von Sonnenaufgang bis mitten in die Nacht.

Eine lauterne Stimme

Adunni ist eine Protagonistin, die man nicht vergessen wird. Das 14-jährige Mädchen durchlebt die Hölle, die dennoch bestimmt keine Ausnahme für Mädchen in Nigeria bildet. Sie will nur ihre Mama zurück und wieder in die Schule – Wünsche, die zu Herzen gehen. Gleichzeitig zeichnet Daré einen so starken Charakter, dass man nur sagen kann: Adunni hat schon eine lauterne Stimme, denn sie nimmt uns unausweichlich mit in ihre Welt. Eindringlich erzählt sie von ihrem Leben, dem sie sich stellt, das sie durchleidet – und dennoch nie aufgibt. Sie ist eine absolute Sympathieträgerin, die als erzählende Protagonistin in einer belletristischen Gesellschaftskritik lebt, in der Aberglaube, Armut und Arroganz, aber auch Gleichgültigkeit gezeigt und angeprangert werden.

Die Protagonistin erzählt ihre Geschichte

Adunni erzählt ihre Geschichte selbst. Wir begleiten sie durch ihren Alltag und durch ihre Gedanken. Sie hat ihre ganz eigene Art, sich auszudrücken. In der englischen Originalausgabe lässt die Autorin das Mädchen mit rudimentärem Vokabular und fehlerhafter Grammatik erzählen. Die Übersetzerin Simone Jakob hat daraus eine Mischung aus Umgangssprache und Neologismen gemacht, die das eingeschränkte Sprachvermögen der Protagonistin gut abbildet. Für den Leser heißt das, dass man sich erst einmal an den Stil gewöhnen muss. Begriffe wie „Außenland“ oder „Aeloplane“ werden genauso gebraucht wie „Telefonmobil“ oder „Helmkappe“ – und nicht zuletzt „lauterne“ für „laute“ Stimme. Immer wieder rutscht Adunni zudem in Gossensprache ab, die manchmal regelrecht abstoßend erscheint. Doch genau dieses Sprachgemisch macht die Figur und ihre Erlebnisse authentisch.

Gesellschaftskritik in belletristischer Form

Mit Das Mädchen mit der lauteren Stimme legt Abi Daré einen Afrika-Roman vor, der vieles beinhaltet und vor allem eines ist: eine Gesellschaftskritik, die uns aufhorchen lässt und uns eine Reflektion regelrecht aufzwingt. Gleichzeitig lernen wir sehr viel über das Leben in Nigeria – auch Schönes, wie z.B. einiges über das gebräuchliche Essen oder die traditionelle Kleidung. Wir lernen das Chaos in Laos genauso kennen wie das Leben auf dem Land, und erleben die Abhängigkeiten in nigerianischen Familien – egal ob sie nun arm oder reich sind.

Fazit

Das Mädchen mit der lauternen Stimme ist ein atmosphärisch dichtes und sehr emotionales Roman-Debüt. Abi Daré zeigt das Leben von Adunni in Nigeria, die doch nur zur Schule gehen und lernen will, aber die kaum eine Chance dazu erhält. Die Gesellschaftskritik ist eingebaut in einen der besten Romane, den ich in letzter Zeit gelesen habe – und den ich nicht nur Afrika-Fans wärmsten empfehlen kann.

Das Mädchen mit der lauternen Stimme

Abi Daré, Eichborn

Das Mädchen mit der lauternen Stimme

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