Düsteres Psychodrama mit sentimentalem Anstrich
Wieviel kann ein Mensch ertragen? Der Antiquitätenhändler Terence Cave hat bereits seine Mutter durch Suizid und seine Ehefrau im Zuge eines Überfalls auf sein Geschäft verloren, was Ängste und Schuldgefühle tief in ihm verankert hat. Dann kommt auch noch sein Sohn Reuben im Rahmen einer sinnlosen Mutprobe ums Leben. Nun bleibt ihm nur noch seine fünfzehnjährige Tochter Bryony.
Im Nachgang der Tragödie hinterfragt er sein Verhältnis zu seinen Kindern, und eine Dunkelheit beginnt sich in ihm zu regen. Seine Tochter verändert sich – im Rahmen der Pubertät eigentlich ein natürlicher Vorgang. Doch immer mehr wird Cave von der Furcht geplagt, ihr könnte etwas zustoßen, und so beginnt er, ihre Freiheit zunehmend einzuschränken. Seine Schwiegermutter Cynthia, die ihn stets unterstützt hat, versucht ihn in seine Schranken zu verweisen und ihn daran zu erinnern, dass Bryonys Verhalten absolut altersgemäß ist. Doch dann verliebt diese sich auch noch in Denny, einen jugendlichen Boxer, den Terence als stumpf, grob und für seine künstlerisch veranlagte Tochter nicht gut genug empfindet. Und Denny war auch noch einer der Jungs, die Reuben zu der Mutprobe angestachelt haben, welche ihn das Leben gekostet hat! Caves Besessenheit treibt immer wildere Blüten – und ist schließlich wörtlich zu nehmen: Immer öfter hat er den Eindruck, der Geist seines toten Sohnes ergreife Besitz von ihm und treibe ihn in den Wahnsinn. Die schwelenden Konflikte drohen in Richtung einer Katastrophe zu eskalieren …
Der gepeinigte Peiniger
Der gebürtige Sheffielder Matt Haig studierte Englisch und Geschichte an der University of Hull und hat neben seiner journalistischen Tätigkeit bereits eine große Bandbreite an Romanen und Sachbüchern veröffentlicht, häufig mit philosophischem Anstrich. Seine Memoiren Reasons to stay alive, in denen er seinen Kampf mit der Depression schildert, erregte in der britischen Literaturszene einiges an Aufsehen. Hierzulande ist er vor allem für seinen Bestseller Die Mitternachtsbibliothek bekannt. Der Kurzroman Der fürsorgliche Mr. Cave erschien im Original bereits im Jahr 2008 unter dem englischen Titel The Possession of Mr Cave (The Bodley Head) und liegt nun bei Droemer erstmals in einer sehr gelungenen deutschen Übersetzung von Sabine Hübner vor.
„Wir wünschen uns die Kontrolle darüber, was oder wer geliebt wird, und haben noch nicht einmal die Kontrolle über unseren eigenen Verstand“
Der fürsorgliche Mr. Cave ist in seiner Kürze eher als Novelle denn als Roman zu bezeichnen und liest sich flüssig und ansprechend. Matt Haig zeichnet darin das Psychogramm eines Menschen, der sich voranschreitend in den dunklen Winkeln seiner Psyche verliert, in denen alte, nie verheilte Narben unauslöschliche Spuren hinterlassen haben. Bereits Kleinigkeiten scheinen seinen immer wahnhafteren Zwang zu befeuern, seine Tochter zu beschützen, indem er sie ihrer Freiheit beraubt und mit zunehmend restriktiven Regeln erdrückt.
Wie sich am Ende herausstellt, handelt es sich bei der ganzen Erzählung um einen Brief, den Cave (der sprechende Name der Hauptfigur ist äußerst klug gewählt) an seine Tochter richtet, um sich bei dieser zu entschuldigen und zu erklären, nachdem sämtliche beschriebenen Ereignisse bereits eingetreten sind. Dies verleiht der Geschichte nicht nur eine besondere Form von Spannung, sondern auch eine sehr persönliche Note und gewährt Einblick in einen gegen Ende fast wirr werdenden, geplagten Geist. Gleichzeitig ist Cave – seinem Beruf angemessen – aber auch ein äußerst intellektueller Mensch, der die menschliche Natur, sein eigenes Handeln und seinen wachsenden Schrecken vor sich selbst stark reflektiert und diese Betrachtungen mit Referenzen auf Kultur, Geschichte und Literatur spickt.
Trotz sprachlicher Finesse gleitet Haig hier jedoch seine eigene Geschichte ein wenig aus der Hand, ist seine Art der Schilderung in Caves Worten doch manchmal etwas übertrieben geraten – besonders in den späteren Abschnitten, die mit immer melodramatischeren Wendungen aufwarten. Dies will auch nicht immer zu der märchenhaften, unwirklichen Atmosphäre passen, die der Autor kreiert.
Zudem driftet der Kniff, der dem Roman seinen englischen Titel verleiht – nämlich, dass Cave sich zunehmend vom Geist seines verstorbenen Sohnes besessen fühlt, der sich wohl für widerfahrene Ungerechtigkeiten und sinnlose Verluste „rächen“ will – häufig sehr stark vom roten Faden der Handlung ab. Gleichzeitig verleiht das Stilmittel der Hauptfigur jedoch auch zusätzliche Ambivalenz, denn Cave versucht bis zum Schluss bei aller Selbstanschauung immer wieder, seine in geistiger Umnachtung verübten Taten durch diese Besessenheit zu rechtfertigen und Verantwortung abzuwälzen. Die rettenden Erkenntnisse kommen letztendlich leider zu spät.
Fazit
Der fürsorgliche Mr. Cave ist ein düsteres und originelles Familiendrama über unverarbeitete Traumata, das Verhältnis zwischen verschiedenen Generationen und die Heimsuchung durch Geister der Vergangenheit mit ganz eigenem Ansatz – und damit durchaus lesenswert. Man kann jedoch nicht verhehlen, dass das Buch gelegentlich etwas dick aufgetragen ist und der zentrale Konflikt mehr Fokus vertragen hätte.
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