Der erste letzte Tag: Kein Thriller

  • Droemer
  • Erschienen: April 2021
  • 3

- TB, 272 Seiten

Der erste letzte Tag: Kein Thriller
Der erste letzte Tag: Kein Thriller
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Sandra Dickhaus
851001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2021

Zwei fremde Personen, ein gemeinsames Auto und eine schicksalhafte Fahrt

Stell dir vor, du sitzt in einem Flugzeug, möchtest nach Berlin, um dein Buch verlegen zu lassen - und vor allem, um die Ehe mit deiner Frau zu retten. Aber der Flug wird gecancelt, als Mietwagen steht nur ein 7er BMW mit Luxus-Vollausstattung für läppische 1.200 Euro zur Verfügung, und zu allem Überfluss will es das Schicksal, dass du mit dem vorhin im Flugzeug schrecklich nervigen Mädel gemeinsam eine Autofahrt vor dir hast, die du dir so nie ausmalen konntest! All dies passiert dem eher langweiligen, an Schüleroutfits angepassten Lehrer Livius Reimer, der von seiner Mutter einen selbstgestrickten Bärchenpullover zu Weihnachten geschenkt bekommt – also ein wahrer Inbegriff von Spontaneität und eine Mischung aus Möchtegern-Abenteurer und verdammtem Spießer. Zusammen mit der „Tofu-Terroristin“ mit zerzauster Palme auf dem Kopf, die eigentlich Journalistin ist, geht er nach einigem Hin und Her auf die Idee ein, diesen Tag so zu erleben, als sei es ihr erster letzter. Diese Mission führt sie auf direktem (Um-)Weg von München über Hamburg, um schließlich in Berlin anzukommen. Mit dem Gedankenexperiment schafft die mutige, schrille Lea von Arnim bei Livius so manchen Moment des Fremdschämens und des gefährlich hohen Blutdrucks. Dabei geht es um das Flüchten aus einem Altenheim, das anerzogene Pinkeln eines Mannes im Sitzen, das Kaufen von mehr als 40 Mastschweinen zu je 130 Euro, das Mieten von 21 Zimmern in einem Luxushotel für Obdachlose vom Bahnhof und einen Protagonisten, der ohne Hose und mit zerstörtem Gesicht versucht, in sein Auto zu gelangen - alles in allem ein Roadtrip, der es in sich hat.

Spitzbübisch, ironisch und voll humoriger, aber tiefgründiger Dialoge

Livius Reimer ist der typische Durchschnittsdeutsche: Ein normaler Bürger, der sich bisher noch nichts zuschulden kommen lassen hat. Seine Ehe mit Yvonne möchte er trotz ihrer außerehelichen Eskapaden immer noch retten. Genau das versteht Lea von Arnim nicht, die seine Reise zwangsweise begleitet. Wie kann man an einer Frau hängen, die so wenig Respekt hat? Dies ist ein Punkt ihrer intensiven Gespräche, die sich um so wirklich jeden wichtigen Bereich im Leben von Mann und Frau drehen. Humorig, spitzbübisch und voll triefender Ironie präsentieren sich die Dialoge zwischen Linus und Lea. Es macht Spaß, das ungleiche Paar zu begleiten, mit ihnen zu lachen und damit nicht mehr aufhören zu können. Lea macht zumindest den Anschein, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte, und provoziert damit das natürliche Schambewusstsein des engagierten Lehrers im Beamtenstatus. Dabei treffen sie auf die unterschiedlichsten Typen, die der Autor klischeebehaftet gezeichnet hat; dies unterstreicht die Humorigkeit des Ganzen. Doch irgendwann ist auch mal Zeit für die leisen Töne - denn Lea ist gar nicht so offen, wie es scheint.

Das ungleiche Paar lernt eine völlig neue Welt kennen und ändert ihre Sicht auf das Leben

Der Autor versteht sein Handwerk, wenn er ironisch, aber nicht gemein schreibt. Situationskomik wird schamlos ausgenutzt, kein Fettnäpfchen ausgelassen. Seine bildreiche Sprache, der Wechsel von kurzen, prägnanten Sätzen zu komplexeren, macht das Lesen angenehm und spiegelt das Rasante der Ereignisse wider. Dass so ein Moment, ein Tag, die Sicht auf das Leben ändern kann, hätte Protagonist Livius nie gedacht. Und dabei tut ihm Lea gut! Sie geben sich beide etwas, auch wenn ihr verbaler Schlagabtausch teils nur so vor Ironie, Starrsinnigkeit und Provokation sprüht, zumindest zu Beginn. Beide lernen eine völlig neue Welt kennen, ohne großartig verreist zu sein, und beginnen, einander zu mögen. Nein, es geht hier nicht um eine typische Liebesschnulze; davon ist der Roman weit entfernt. Es geht um das Loslassen, die Augen für andere Dinge im Leben zu öffnen, Spontanität und ein „Das-Leben-nicht-so-ernst-zu-nehmen“-Gefühl. Leider ist dies nur ein Augenblick, der schnell verweht - aber die tiefen Emotionen, die neuen Erfahrungen prägen den weiteren Lebensweg.

Fazit

Mal ein etwas anderes Buch von Thrillerautor Fitzek. Hier kann er neben seiner emotionalen Seite (ohne kitschig zu sein) auch die wirklich lustige zeigen und mit dem Wortwitz, den er in Interviews, bei Lesungen oder in Talkshows wie kein anderer beherrscht, punkten!

Der erste letzte Tag: Kein Thriller

Sebastian Fitzek, Droemer

Der erste letzte Tag: Kein Thriller

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